Streiflichter der Tyrannis IV

Dieser Artikel ist der dritte Teil der Serie „Streiflichter der Tyrannis“. Eine Übersicht über die gesamte Serie befindet sich hier.

Die Nutzung der Krisen: Mittel und Wege zum heimlichen Systemwechsel

Die Artikelserie „Streiflichter der Tyrannis“ entstand als unmittelbare Reaktion auf die verräterischen Ideen und Vorschläge diverser Politiker und Medienleute nach dem Amoklauf von Winningen. Dieses schreckliche Verbrechen mit vielen Todesopfern wurde von diesen Personen als Anlaß genommen, die alten Verbotsbegehren sofort wieder aufleben zu lassen, ob es sich um sogenannte Killerspiele handelt, oder um Menschen, die Waffen besitzen.

Doch seit dem Amoklauf sind mehrere Tage vergangen und erneut böte sich mehr als genug Anlaß, über dieses Thema ausführlich zu schreiben. Denn die Tatsache, daß Politiker und Medien Krisen aller Art zur Umgestaltung der Gesellschaft nach ihrem Bilde benutzen, ist eine der wenigen Konstanten in einer Zeit voller Veränderungen. Man könnte sagen: Das einzige, was sich niemals ändert ist die Veränderung.

Einige Banken, die sich heftig verspekuliert haben auf einem Immobilienmarkt, der durch verantwortungslose Spekulanten und Politiker (Stichworte: „Community Reinvestment Act“, die Erweiterung dieses Gesetzes unter Clinton, die eingebauten Staatsgarantien bei Fannie und Freddie…) ins Schlingern geraten war. Diese Banken geraten in Existenznöte und Politiker aller PArteien stehen sofort bereit, die entstehende Wirtschaftskrise zu nutzen für eine massive Ausdehnung der staatlichen Aktivität. Politiker der Linken haben seit langer Zeit nur darauf gewartet, den Anteil des Staates an allen gesellschaftlichen Aktivitäten noch weiter auszudehnen, und die Politiker der Rechten, die dies bislang verhindern wollten, um ihre Lobbyistenfreunde nicht zu enttäuschen, hören nun von eben diesen Freunden, daß jetzt staatliche Eingriffe nötig sind, um die Unternehmen zu retten, die sich verspekuliert haben. Politiker aller Parteien beschließen danach Maßnahmen, die außerhalb der Gebiete jenseits des „Eisernen Vorhangs“ vorher undenkbar gewesen wären – und dort wo sie ausprobiert worden sind, Diktatur statt eine gesunde Wirtschaft produziert haben. So ist das eben, wenn der Schiedsrichter mitspielt: DEr Staat ist für die Bereitstellung fairer Spielregeln zuständig und dafür, daß diese Spielregeln eingehalten werden, nicht dafür, die Spielregeln mitten im SPiel zu ändern, weil eine der Mannschaften „too big to fail“ ist: Man stelle sich ein solches Verhalten einmal bei Bayern München vor. Markus Merk erklärt, wenn Bayern das Spiel verliere, und nicht Meister werde, dann koste dies die Bundesliga im nächsten Jahr Geld, weil keiner der VEreine in der Champions Leage so weit komme wie Bayern. Deshalb werde Bayern jetzt im NAchhinein zum Meister erklärt… Der Aufschrei wäre riesig; und zu Recht.

Ein Amokläufer, der eine entsetzliche Bluttat begeht und dabei zu Tode kommt. Die Reaktion der Politiker und Medien: Wir brauchen sofort ein Verbot von Killerspielen, weil vielleicht der Täter solche Spiele gespielt haben könnte – was nicht unwahrscheinlich ist, da solche Spiele sehr populär in seiner Altersgruppe sind. Wir brauchen eine Verschärfung des Waffenrechts, und müssen die Schulen zu Festungen machen. Wir brauchen eine Schwächung der Elternrechte, damit der Staat in Zukunft noch direkter in Familien eingreifen kann, die nicht seinen Normen und Idealen entsprechen.

Einige ungewöhnliche Wetterereignisse und ein Prognosemodell, das eine moderate bis starke Erwärmung anzeigt. Die Reaktion der Medien und Politiker: Wir brauchen alle möglichen Gesetze, um die Welt vor dem Menschen zu retten. Gebt uns nur noch mehr Macht in die Hände, und alles wird gut werden. Schlaft weiter, liebe Bürger! Wir haben alles im Griff… aber nur, wenn wir nicht nur unsere, sondern auch deine Freiheit besitzen.

Ein entsetzlicher Fall von Kindesmißbrauch und Mord in einer Familie. Wir brauchen ein neues Gesetz, das es den Jugendämtern erlaubt, noch aggressiver gegen Familien vorzugehen, die von ihren Nachbarn negativ gesehen werden (Denunziantentum), oder die in irgendeiner Form nicht der vom Staat festgesetzten Erziehungsnorm entspricht. Was nicht nach unserem Willen ist, so die Bürokraten, muß vom Antlitz der Erde getilgt werden, auf daß alle so seien, wie wir und an unserer erlauchten Weisheit teilhaben dürfen. Eltern, die ihre Kinder daheim erziehen wollen und nicht dem Staat in seine Klauen zu legen beabsichtigen, werden zunehmend an den Rand gedrängt und stigmatisiert – wie das heutige Urteil verdeutlicht, in dem alleinerziehende Mütter ab dem dritten Lebensjahr ihrer Kinder keinen Anspruch mehr auf Unterhalt haben, weil sie ja arbeiten gehen könnten und das Kind einer Betreuungsanstalt überlassen könnten. Explizit wird betont, daß ab dem dritten Lebensjahr des Kindes die Erziehung in der Familie gegenüber der FRemdbetreuung NACHRANGIG sei. Nach der Auffassung dieses Staates ist es jetzt ganz offiziell besser für das Kind, wenn man es möglichst schnell seiner Mutter aus den Händen reißt, um es nach den aktuellen Ideologien des Staates besser indoktrinieren zu können. Die Freiheit des Kindes von staatlicher Intervention ist das einzige und beste Mittel, das eine Gesellschaft hat, um die Umerziehung der Gesellschaft in eine demütige, staatsgläubige und abhängige Masse von Atomen verhindert (aber ob die Menschen das heute noch wollen?).

Ein entsetzlicher Fall von Kindesmißbrauch außerhalb der Familie, ein Sexualmord. Wir brauchen mehr Überwachungskameras und genetische Fingerabdrücke.

Ein schrecklicher Terrorfall hier oder in Übersee, ob vereitelt oder nicht? Wir müssen sofort an Flughäfen die Passagiere noch mehr durchleuchten, alle Bürger unter Generalverdacht stellen, und ihren Computer durchsuchen können, ohne daß sie davon erfahren. Wir müssen den Bürgern verbieten, an jeden Ort ins Ausland zu reisen, an den sie reisen möchten, denn sie könnten ja Terroristen auf der Suche nach einem Terrorcamp sein. Und auf jeden Fall müssen wir unangekündigte Terror-Hausdurchsuchungen machen. Welche moralische Überlegenheit hat ein Staat eigentlich noch, wenn er sich genauso benimmt, wie das totalitäre Regime zu dessen Verhinderung er sich berufen fühlt?

Frauen bekommen im Schnitt weniger Lohn als Männer? Wir brauchen sofort ein Gesetz, das staatlich vorschreibt, wie die Entlohnung von MEnschen geregelt werden muß, und das solche ach so böse „Diskriminierung“ in Zukunft unterbindet. Außerdem kann es nicht sein, daß es immer noch weniger Physikerinnen gibt als Physiker, also brauchen wir Gender Mainstreaming und Quoten und Antidiskriminierungsgesetze, die Privatbürgern vorschreiben, wen sie bei gleicher formaler Qualifikation einstellen sollen.

Arme Kinder haben schlechtere Berufschancen als reiche Kinder? Wir müssen sofort im Namen der Chancengleichheit massiv in die Familie eingreifen, Kinder immer früher aus dem Familienverbund herausreißen (vorzugsweise gleich obligatorisch!) und in Kindergärten und Vorschulen stecken, damit sie niemals wieder frei werden. Außerdem müssen wir das ganze Schulsystem so umstrukturieren, daß es viel mehr Zwangstests gibt, vorzugsweise schon vor der Einschulung, so daß kein Kind mehr durch die Maschen des unbarmherzigen Stahlgeflechts der „sozialen Gerechtigkeit“ fällt.

In einigen Ländern verhungern Menschen? Wir müssen sofort massive weltweite Armutsbekämpfungsprogramme auflegen, die von den Bürgern der Länder zwangsweise per Steuer finanziert werden, so daß die vom Hunger und der Armut betroffenen Menschen jede Woche einen Fisch bekommen, aber nie lernen, wie man fischt.

Ein historischer Ignorant behauptet, den Holocaust habe es nie gegeben. Wir müssen sofort ein neues Strafgesetz machen, das jeden mit Gefängnis bedroht, der eine Geschichtsauffassung vertritt, die schlicht sachlich falsch ist. Und weil wir für Gleichheit sind müssen wir auch gleich noch alle anderen Genozide, wie etwa denjenigen der Türken an den Armeniern, zum modernen Credo des Staatsbürgers erheben und Abweichler mit GEfängnis bestrafen. Und weil nicht nur die Juden in der Vergangenheit Opfer von schrecklichen Verbrechen und Diskriminierungen geworden sind, müssen wir, wenn wir gerade dabei sind, auch noch kritische Aussagen über Homosexuelle, Abtreibungsärzte, Ausländer und andere „Opfergruppen“ unter Strafe stellen und massive teure Kampagnen gegen Phantombedrohungen führen, um noch mehr staatliche Mittel zu sichern und noch weniger Bürgerfreiheit zuzulassen.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen und ich habe mit SIcherheit noch sehr viele wichtige Bereiche vergessen. Denn ich bin nur ein kleiner Blogger, aber die Mühlen der Bürokratie haben die Dimension des Mount Everest. Wir alle sind nur kleine Bürger, aber der Staat ist mächtig genug, um unter seinem Schuh jeden von uns zu zerquetschen.

Wir sind beschäftigt mit unseren eigenen Angelegenheiten. Doch wir sind nicht die einzigen und bei weitem nicht die Einflußreichsten, die sich mit unseren eigenen Angelegenheiten beschäftigen, denn der Staat ist immer schon da und reguliert jedes Detail unseres Privatlebens. Er tut dies auf zwei Weisen: Erstens gibt er vor, uns und vor allen Dingen unsere Kinder vor allen möglichen Bedrohungen der Welt (Terror, Kinderschänder, Arbeitslosigkeit usw.) beschützen zu müssen. Während er dies tut, schließt er uns in einer Art Goldenem Käfig ein, in dem wir umgeben sind von unerträglichen Freiheitsbeschränkungen, doch wir seien angeblich sicherer als zuvor (bis jemand die Macht im Staate mißbraucht, was aufgrund der Natur des Menschen notwendig geschehen muß).

Zweitens gibt er vor, uns helfen zu wollen. Er möchte uns helfen, besser zu studieren, also zahlt er Bafög und finanziert den größten Teil des Bildungssystems. Er möchte uns helfen, wieder Arbeit zu finden („aktivierende Arbeitsmarktpolitik“). Er möchte uns bei fast allen Dingen im Leben helfen, also macht er Gesetze, von denen er glaubt, sie hülfen (sic!) uns dabei. In dem Moment, in dem wir abhängig sind von der Hilfe des Staates, gewinnt dieser eine unglaubliche Macht über uns. Er muß uns nur damit drohen, den Geldhahn zuzudrehen und schon sind wir ihm zu Willen. Er muß nur damit drohen, das Bafög zu streichen und schon studieren alle, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre, stürzen sich aufgrund des Drucks schnell fertig zu werden in psychische Zusammenbrüche, lernen noch mehr als vorher nur für den Erwerb von Scheinen statt für den Gewinn von sinnvollen Kenntnissen, und bilden sich überhaupt nicht mehr im klassischen Sinne. Er muß nur damit drohen, den Arbeitslosen das Geld zu streichen und diese lassen staatliche Spitzel in ihre eigene Wohnung ein, lassen sich und ihre Unterwäsche filzen, akzeptieren entwürdigende Zumutbarkeitsbedingungen (bis hin zum zumutbaren Prostituiertenjob für Frauen, wogegen zum Glück eine Arbeitslose erfolgreich geklagt hat).

Der Staat muß nur damit drohen, seine schützende Hand wegzuziehen, und schon bekommen wir Angst vor dem, was passiert, wenn die Hand uns fehlt.

Der Staat muß nur damit drohen, uns nicht mehr bei all den Dingen zu helfen, von denen wir inzwischen abhängig geworden sind, und schon bekommen wir Panikattacken und bitten den Staat, er möge doch uns weiter helfen und noch mehr als vorher.

Wir, die freien Bürger der sogenannten modernen Welt, sind keine freien Bürger mehr, sondern Wachs in den Händen des Staates, der behauptet uns zu schützen und zu helfen wo es nur geht. Die Macht des Staates über die Bürger ist inzwischen größer als die Macht der Bürger an der Wahlurne es jemals sein könnte, denn die große Mehrzahl der Bürger glaubt abhängig zu sein von den Segnungen des Staates.

Wir tanzen nach der Pfeife des Staates, weil wir wissen, er hat uns in der Hand.

Der Staat hat durch den gezielten Mißbrauch von Krisen, Problemen, Tragödien und Verbrechen eine Situation geschaffen, in der der normale Bürger nur unter Bedrohung seiner bloßen Existenz ohne den Staat könnte, und dies ist der großen Mehrheit das Risiko nicht wert. Wir leben heute in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Staat, von dem die Feudalherrn in ihrer Zeit nur träumen konnten.

Aber eine Analogie trifft die Sache am Ende noch am Besten: Der Staat ist unser Beschützer und unser Helfer, analog zum Vater und zur Mutter in der traditionellen Familie. Der Staat ist Vater und Mutter für uns zugleich geworden. Der Staat ist unsere Eltern. Kleine Kinder sind abhängig von der Zuwendung und dem Schutz durch ihre Eltern. Erwachsene Menschen können in der Regel auch ohne Zuwendung und Schutz durch ihre Eltern leben. Der Abhängigkeitszustand der Deutschen und der meisten anderen Völker in der „modernen“ Welt läßt in mir arge Sorgen ob des geistigen Alters dieser Bürger aufkommen.

Wir beobachten einen schleichenden Systemwechsel in unseren Gesellschaften. Eine moderat funktionierende Demokratie mit vielen Schwächen ist praktisch vollständig abgelöst worden durch eine formale Demokratie, in der das Verhalten der Wähler durch Wahlgeschenke und Schutzversprechen erkauft wird und in der der Bürger mit so vielen Schutzvorrichtungen und Hilfsangeboten überhäuft wird, daß er gar nicht mehr weiß, was er eigentlich will.

Wir wählen ohnehin nur die eine oder andere Strömung innerhalb dieses Grundkonsenses. Alle Alternativen neben diesem Grundkonsens sind antidemokratisch oder lächerlich (meist aber beides). Wir haben nur die Wahl, den Systemwechsel zu unterstützen, indem wir eine der etablierten Parteien wählen, uns in den eigenen Fuß zu schießen, indem wir eine der antidemokratischen oder lächerlichen Splittergruppen wählen, oder eine dumpfe „alles egal“-Haltung durch unsere Nichtwahl auszudrücken, durch die der Staat zu noch mehr „Aufklärungsarbeit“ veranlasst wird. Egal was wir tun, die Lage wird ungemütlicher, die Freiheit wird weniger. Das System erinnert an eine Zwangsjacke.

Der Unterschied zwischen echten Vätern und Müttern auf der einen Seite und dem Staat auf der anderen besteht darin, daß die meisten echten Eltern ihre Kinder lieben, der Staat nur die ökonomische Performance seiner Kinder. Stimmt diese nicht, gibt es Elektroschocks und Zwangsjacken.

Gibt es Auswege daraus? Wenige. Der beste Weg könnte darin bestehen, sich selbst vernünftig zu verhalten und dem Staat keinen Anlaß zu geben für noch mehr Gesetze gegen die Freiheit der Bürger. Doch Krisen, Tragödien und Probleme wird es immer geben. Und Lobbyisten, Bürokraten und Medienleute, die auf diese Weise ihre Agenda durchsetzen wollen auch. DEr heimliche Systemwechsel geht also weiter, Amokläufer für Amokläufer; Kinderschänder für Kinderschänder, Sozialbetrüger für Sozialbetrüger, Judenhasser für Judenhasser, bis keine Freiheit mehr übrig und jedes Recht unter dem Deckmänteln von Helfen und Schützen abgeschafft ist.

Streiflichter der Tyrannis III

Dieser Artikel ist der erste Teil der Serie „Streiflichter der Tyrannis„. Eine Übersicht aller Artikel dieser Serie befindet sich hier.

Amokläufe als Waffe für den Abbau von Elternrechten: an den Fundamenten der Freiheitserosion

Wie bereits im ersten Teil erwähnt, werden Amokläufe und andere tragische Fälle immer wieder verwendet, um Elternrechte abzubauen. Dies ist einerseits ein Spezialfall des generellen, weiter oben behandelten Abbaus von Freiheit, welcher eine wesentliche Bedrohung für die langsam verfaulenden Reste der freien Bundesrepublik darstellt. Andererseits aber handelt es sich bei Elternrechten um einen der wesentlichen Schwerpunkte des Freiheitsabbaus unserer Zeit. Ich möchte an dieser Stelle die Frage aufwerfen, warum dies der Fall ist.

Eltern entscheiden über ihre Kinder, bis diese mündige und volljährige Bürger sind. Danach entscheiden diese in letzter Konsequenz über sich selbst. Dies bedeutet nicht, daß Eltern bis zum gesetzlichen Volljährigkeitstermin alles im Leben ihrer Kinder bestimmen müssen oder auch nur sollen. Dies bedeutet ebensowenig, daß Kinder nach diesem Volljährigkeitstermin nie wieder auf ihre Eltern hören sollen. Daher ist schon die Existenz eines solchen rechtlich festgelegten Datums irreführend. Manche Kinder sind schon mit 15 reif genug, alle wesentlichen Dinge für sich selbst entscheiden zu können, aber manche sind es mit 20 noch nicht. Dies sind individuelle Eigenschaften der Kinder und eventuell auch der Umgebung, in der das Kind aufwächst, sowohl seine unmittelbare Nachbarschaft und Freunde, als auch das kulturelle Klima der Gesellschaft. Natürlich ist es notwendig in einer Wahldemokratie ab einem bestimmten Zeitpunkt wählen zu dürfen, deswegen braucht es einen solchen Termin. Aber braucht es wirklich viel mehr?

Dies kommt darauf an, was man als Gesellschaft möchte. Ist die Absicht, einen bestimmten Typus von Menschen heranzubilden, welcher besonders gut geeignet ist für bestimmte Typen von Arbeiten und Tätigkeiten, die man für besonders wichtig hält, oder welcher bestimmte Auffassungen und Grundideen über die Welt und seine Rolle in ihr hat, dann braucht es viel mehr als dies. Alle Diktaturen der Welt kennzeichnen sich dadurch, daß sie die Erziehung der Kinder nicht den Eltern überlassen, sondern sie als Staatsaufgabe ansehen. Und die meisten freien Staaten verzichten auf eine starke Regulierung der Erziehung eben weil es ihnen nicht darauf ankommen kann, allzu viel festzulegen über die genaue Form dieser Erziehung. Denn es kommt in einer freien Republik ja gerade darauf an, eine Bürgerschaft zu haben, die vielfältige Ansichten und Grundideen hat, die dann in einem kreativen Prozeß der Diskussion zu individuellen, gesellschaftlichen oder gesetzlichen Normen des Zusammenlebens gerinnen, welche flexibel genug sind, eine Vielfalt von verschiedenen Lebensstilen in sich aufzunehmen, ohne dabei entweder tyrannisch zu werden oder in die Bedeutungslosigkeit abzudriften (das ist es, was ich gelegentlich eine „tolerante, aber relevante Wertegemeinschaft“ nenne). Wie entsteht nun eine solche Bürgerschaft?

Es gibt grundsätzlich zwei Wege: einen internen und einen externen Weg. Der interne Weg besteht darin, jedem Nachwuchs die ganze Breite der möglichen Werte und Lebensstile, Ideen und Ansichten bekanntzumachen ohne diese zu werten. (Natürlich ist es praktisch unmöglich etwas zu vermitteln, ohne es zu werten, denn die Art der Vermittlung beinhaltet immer mehr oder weniger subtil die Meinung der Vermittlers). Dieser Weg verlangt eine „staatsbürgerliche Erziehung“, da man sich nicht darauf verlassen kann, daß die Eltern schon dafür sorgen werden, daß das Kind die nötige Bandbreite mitbekommt. Es muß dafür gesorgt werden, daß die Kinder „Toleranz“ in der Schule lernen, und Kontakt mit möglichst vielen verschiedenen Kulturkreisen, Weltanschauungen usw. haben. Es geht hier nicht darum, zu bewerten, ob dies eine inhaltlich gute oder schlechte Ansicht ist, sondern darum, das notwendige Maß an staatlichem Einfluß auf die Erziehung der Kinder und damit auf die Elternrechte festzustellen. Es ist offensichtlich nötig, eine Einheitsschule für alle zu haben, und die vermittelten Inhalte möglichst zentral zu kontrollieren. Der interne Weg ist also der Weg des Schulzwangs und der modernen Toleranzideologie.

Der externe Weg geht in eine völlig andere Richtung: Da alle irgendwie relevanten Überzeugungen, Werte, Lebensstile und Ansichten in einer Gesellschaft vertreten sind (solche, die durch niemandem in der Gesellschaft vertreten sind, brauchen nicht betrachtet zu werden, da es mit nicht vorhandenen Ansichten nicht zu Konflikten kommt), reicht es aus, wenn die Eltern ihren Kindern die je eigenen Vorstellungen vermitteln, und dies alle Eltern tun. Wird dieser Weg beschritten, ist es nicht notwendig, massive staatliche Kontrollen zu haben, und staatliche Schulen sind eine Möglichkeit zum Erwerb von berufsnotwendigem oder für die persönliche Entwicklung relevantem Wissen, neben anderen Möglichkeiten. Staatliche Regulierung beschränkt sich auf ein Mindestmaß, und Eltern können ihre Kinder erziehen, wie sie wollen, ihnen ihre eigenen Werte und Ansichten vermitteln als feste Grundlage. Konfrontiert mit anderen Ansichten, Werten und Grundüberzeugungen hilft eine breite klassische Bildung bei der Überbrückung von Differenzen, so daß diese definitiv hilfreich ist. Wer die Geschichte studiert, wird feststellen, daß klassische Bildung (nicht das Massenprodukt, das heute unter dem Namen vom Monopolisten Staat verkauft wird) einer der wichtigsten Elemente der Völkerverständigung, der Freiheit und des Friedens zwischen grundverschiedenen Menschen ist.

Wir haben es hier zu tun mit zwei grundverschiedenen Gesellschaftsauffassungen: Wir alle wollen eine friedliche Gesellschaft, in der Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, ethnischen, religiösen und gesellschaftlichen Hintergründen zusammenleben, einander kennen und verstehen, respektieren und – soweit möglich – schätzen. Die beiden genannten Wege sind zwei Möglichkeiten, nach diesem gemeinsamen Ziel zu streben. Im einen Fall normiert der Staat weitgehend die Kindererziehung (und hier findet eine entscheidende Prägung des sich herausbildenden Charakters durch dem Kind wesentlich fremde Menschen wie Lehrer, Betreuuer, Erzieherinnen und Psychologen statt). Im anderen Fall normiert niemand die Erziehung, sondern läßt den Eltern freie Hand bei den zu treffenden Entscheidungen. Hier wird das Kind entscheidend durch ihm gut bekannte Menschen wie Eltern und Verwandte, sowie prinzipiell bis zu einem gewissen Grad „filterbare“ andere Kinder geprägt. Entscheidend ist für den gegebenen Zusammenhang die Erkenntnis, daß der moderne deutsche Staat, in den Fußstapfen des nivellierenden Wohlfahrtssozialismus der Marke Schweden, den internen Weg geht, der die Wertneutralität der Erziehung und der Bildung groß schreibt, und daher diese Neutralität staatlich kontrollieren bzw. herstellen muß, da sie, wie fast jede beliebige Gleichheit, von Natur aus nicht auftritt. Deswegen muß der deutsche Staat die Eltern ihres natürlichen REchts auf Erziehung ihrer eigenen Kindern berauben, um alle Kinder in die Normschablone des „guten Staatsbürgers“ zu pressen, und bei allen das Besondere wegzuschneiden. Daher entspricht das deutsche Bildungssystem der Methode jenes Friseurs, der einst eine Haarschneidemaschine entwickelt hatte, die auf jeden Kopf passte – nachdem sie auf diesem Kopf einmal Verwendung gefunden hat.

Elternrechte stehen weltweit und auch in Deutschland deswegen unter Beschuß (abgesehen von dem verstärkenden Interesse des Feminismus an der Auflösung traditioneller Familieneinheiten), weil durch sie die Existenz staatsunabhängiger Einflußzentren sichergestellt wird. Ein Mensch, der durch Krippe, Kindergarten, Vorschule, Grundschule, Ganztagsschulen, die Wehrpflicht und die staatliche Universität geht, um dann einige Jahre zu arbeiten (und etwa die Hälfte seines Einkommens dem Staat zu geben, damit seine Kinder diese „Chancen“ auch haben), bevor der Staat ihm eine Altersrente zahlt, zwischendurch Krankheiten auffängt und Perioden der Arbeitslosigkeit entschädigt, wird niemals die Gelegenheit haben, wird niemals wieder frei werden. Und wenn der Staat in irgendeinem Punkte noch nicht alles für ihn tut, dann entsteht Frust und Zorn und der Haß auf das „System“, das ihn doch so sehr benachteiligt. Eine Gesellschaft wie die unsrige, in der der einzelne Mensch von der Wiege bis zur Bahre nicht abhängig ist von der Gemeinschaft (jenem informellen, spontanen, organischen und freien Zusammenschluß von Menschen), sondern vom Staat (jenem bürokratischen, zentralistischen, erzwungenen und technokratischen Monstrum), kann keine freie Gesellschaft sein. Ich sage damit nicht, daß kein Staat notwendig wäre – dies zu sagen wäre sicher falsch. Aber klar ist auch: DEr freie, verantwortliche Bürger benötigt einen starken Charakter, ein moralisches Gewissen gestählt in den Fährnissen des Lebens und den Problemen der Welt. Er muß seine Schwierigkeiten meistern und sie überwinden, auf die eine oder andere Weise (auf seine Weise eben). Wird er vom wohlwollenden Staat über die Hindernisse hinweggetragen, entwickelt er sich nicht weiter, sondern bleibt stecken. Und wenn er stecken bleibt, gibt er die Schuld dem Staat, der ihn nicht weit genug getragen hat.

Der freie, verantwortliche Bürger entwickelt sich am besten auf einem festen, eindringlich vermittelten Wertefundament, welches von zwei liebenden und gerade deshalb herausfordernden und manchmal strengen Eltern in dem Kind gelegt wird; auf einem Wertefundament freilich, das unterstützt (und gelegentlich herausgefordert) wird von einer soliden, breitgefächerten klassischen Bildung, die auch die Grundlage des Verständnisses für und der Verständigung mit diametral abweichenden Positionen schafft.

Der staatsgläubige Untertan entwickelt sich am besten auf einem wackeligen, verunsicherten Fundament schwankender Wertebeliebigkeit, welche von einem gierig nach den Kindern greifenden, diese vereinnahmenden Staat in dem Kind erzeugt wird; einer Wertebeliebigkeit freilich, die nicht Toleranz sondern eben nur Unsicherheit beinhaltet, und niemals die Fähigkeit zum kritischen Fragen, sondern nur zur Repetition vorgestanzter „kritischer“ Antworten im Sinne der staatlichen Erzieher entstehen läßt. Diese von der Regierung (und fast allen ihrer Vorgänger) verfolgte Strategie ist einer der wesentlichen Gründe für viele der Probleme der letzten 40 Jahre (darunter die Willigkeit der Deutschen, Freiheit einfach so aufzugeben) – allerdings ist sie auch Folge eben dieser Probleme: ein klassischer Teufelskreis.

Und Tragödien wie der Amoklauf in Baden-Württemberg oder die Vernachlässigung einiger Kinder durch ihre Eltern wird dann von den Protagonisten dieses entsetzlichen Dramas namens Familienpolitik immer wieder zum Vorwand genommen, den Würgegriff des Staates, in dem sich Eltern befinden, immer weiter zu verstärken – und als Folge den Funken der Freiheit gnadenlos zu ersticken.

Streiflichter der Tyrannis II

Dieser Artikel ist der erste Teil der Serie „Streiflichter der Tyrannis„. Eine Übersicht aller Artikel dieser Serie befindet sich hier.

A Counterstrike against Tyranny

Millionen von deutschen Jugendlichen spielen den Shooter „Counterstrike“ und drei von ihnen begehen einen Amoklauf. Wenn man die sonstigen Aktivitäten von Jugendlichen betrachtet, die diese in der Masse tun, angefangen vom Komasaufen über sonstigen Drogenmißbrauch, bis hin zu verantwortungslosem Sexualverhalten, kann nicht davon ausgegangen werden, daß diese Jugendlichen auf einmal besonders guten Geschmack oder auch nur eine ausgeprägte praktische Vernunft besitzen, wenn es um die Wahl ihrer Computerspiele geht. Es mag durchaus sein, daß ein Spiel wie Counterstrike, so es denn von Menschen gespielt wird, die die entsprechenden Neigungen und Phantasien besitzen, schädliche Auswirkungen haben kann. Mit anderen Worten: WEr sich für AMokläufe interessiert wird wahrscheinlich Counterstrike spielen – wer sich für Antiterroreinsätze, Waffen, gute Reaktionen, Gruppeninteraktionen usw. interessiert auch – aber eben womöglich auch der Möchtegern-Amökläufer. Wer gern Menschen niederschießt, wird sich für Waffen interessieren. Aber wer sich für Waffen interessiert, muß deswegen nicht „wahrscheinlicher“ ein Amokläufer sein. Wenn es regnet wird die Straße naß, aber nasse Straßen können auch ohne Regen existieren – man frage nur das Ferrari-Team in der Formel 1, welche gern „Regenrennen“ in Maranello testen durch künstliche Bewässerung der Straße.

Kurz gesagt: Auch Amokläufer interessieren sich für Waffen; und auch Brandstifter interessieren sich für Feuerzeuge. Dennoch ist es unvernünftig, den Verkauf von Feuerzeugen von der Vorlage eines „psychologischen Charaktergutachtens“ abhängig zu machen. Dennoch ist es bezüglich der Waffen, bezüglich Counterstrike usw. genau die Vorgehensweise der Politik. Daß dies falsch ist, braucht an dieser Stelle nicht weiter aufgewiesen zu werden, da es offenbar nichts bringt, alle möglichen respektablen Tätigkeiten zu überwachen, nur weil womöglich auch üble Menschen diese Tätigkeit unternehmen könnten. Dies führte in eine totale Kontrolle aller menschlichen Aktivität, was nicht im Interesse der Bürger einer freien Republik sein kann.

Doch erschöpft sich darin der Raum der vernünftigen Debatten? Aus meiner Sicht nicht, denn bei der FRage nach den Spielgewohnheiten deutscher Jugendlicher fallen ALLE wesentlichen Problemaspekte politisch und medial gewollt unter den Tisch. Medien wollen Quote, und simplizistische, emotionalisierte Kampagnen bringen diese Quoten. Politiker sind auch auf Quoten aus: Stimmenprozente bei der nächsten Wahl. Ein wichtiger Aspekt ist die Frage, was die eigentliche Folge all dieser Verbote und Maßnahmen der Politik ist. Die diversen „Sicherheitsgesetze“ zur Einschränkung von Bürgerfreiheiten, das Solariumsverbot für Jugendliche, Rauchverbote, Werbeverbote, Verkaufsverbote, staatlich erzwungene Altersgrenzen, gesundheitspolitische „Anreize“ für mehr Sport, mehr Vorsorgeuntersuchungen, mehr Gemüse und Obst, weniger Fleisch, Tempolimits auf Autobahnen, Verbote im Waffenrecht, Schulzwang, Wehrpflicht, bald auch Kindergarten- und Krippenzwang, was der logische nächste Schritt wäre, Zwang, Verbote und Gesetze wohin das Auge reicht, Regulierungen der freien Meinungsäußerungen, „Hate Crimes“, Verbot der Äußerung falscher Geschichtsauffassungen uvm. WAs ist die Folge solcher Maßnahmen und wer hat dem Staat das Recht gegeben, daß er dies alles beschließen darf, ohne daß es überhaupt Thema wird, ob die Macht des Staates Grenzen hat?

In einem freien Land entscheiden die Bürger, im Rahmen der informellen gesellschaftlichen Bindungen und Normen, in denen sie sich befinden, was sie tun möchten. Bestimmte Dinge können sie nicht gut informell bereitstellen, wie etwa eine Verteidigungsarmee in Kriegszeiten, so daß solche Aufgaben und einige andere an verschiedene Abstufungen von Regierungen (Lokal, Regional, National usw) abgetreten werden. Keines dieser Staatsgebilde darf seine von den Bürgern erhaltenen Aufgaben auch nur einen Millimeter überschreiten. Die meisten Angelegenheiten werden von den Bürgern erledigt in einer freien Republik. Eltern entscheiden, welche Schule ihre Kinder besuchen, oder ob sie sie selbst ausbilden möchten, sie entscheiden, was ihr Kind zu essen bekommt, wie sie es erziehen wollen, welche Kontakte und Freizeitaktivitäten sie ihrem Kind lieber untersagen möchten (z.B. könnten besorgte Eltern ihrem Kind kein Counterstrike vorenthalten, wenn in der REalität die Kinder den ganzen Tag in unpersönlichen Schulen den Blicken der Eltern entzogen sind, vor allem wenn Eltern und Lehrer nicht zusammenarbeiten, sondern die bildungspolitische Generallinie des deutschen Staates auf eine Entmündigung der Eltern herausläuft). Freiheit ist überhaupt nur möglich in einer weitgehend unpolitischen Gesellschaft, also einer solchen, in der die meisten Fragen gar nicht oder nur auf seiner niedriger Ebene (also etwa lokal) politisch behandelt werden. Es liegt in der Natur des Menschen (und erst recht in der Natur derjenigen, die ihr Leben damit verbringen, durch die Därme ihrer Parteichefs an die Spitze der Politik zu krabbeln), Macht über alles andere zu stellen. In jedem politischen System werden diejenigen regieren, welche sich durch höchste Skrupellosigkeit und Gewissenlosigkeit sowie Machtgier auszeichnen. Dies wird verstärkt durch die notwendige Bürgerferne der Entscheidungen in einem anonymen 80-Millionen-Staat, denn einem Menschen am Abend ins Gesicht blicken zu müssen, dessen Leben man mittags im Parlament ruiniert hat, ist zumindest in einigen Fällen dazu geeignet, zumindest die gröbsten Auswüchse unter Kontrolle zu halten. Und solche demokratische Kontrolle ist immer ausgeprägter, wenn das Regierungszentrum nahe an den Regierten ist, und nicht in Berlin, Brüssel oder New York.

In Kürze ist die Lehre aus diesen Überlegungen, daß es die Eltern sind, eventuell die lokalen einzelnen Schulen und allerhöchstens die Kommunalparlamente, die befugt sein dürfen, solche Verbote zu erlassen. Das Subsidiaritätsprinzip muß dazu führen, daß die Bundespolitik ihre sechs Finger am linken Fuß aus den freien Entscheidungen der Schulen und Eltern entfernt. DEr moderne Großstaat – und mehr noch als dieser die unkontrollierbare Krake EU und ihre ebenso unkontrollierbare Schwester UNO – sind mit demokratischen Mitteln nicht kontrollierbar, und werden im Laufe der Jahre immer mehr Macht usurpieren, und die Bürger Schritt für Schritt an die sanfte Form des Totalitarismus gewöhnen, welche so stark auf dem Vormarsch ist: Die Tyrannei der Guten Absichten. Es ist womöglich alles gut gemeint. Man will ja nur helfen. Doch die schleichende Entwicklung des Bürgers zum Untertanen eines Zentralstaates, vom freien Menschen zur dienstbeflissenen Ameise ist sowohl Ursache als auch Folge des technokratisch- therapeutischen Staatsmodells, das die Heilung der Menschen von allen Übeln (von ihm selbst abgesehen) zum Ziel hat.

Nötig ist in dieser Situation kein gutgemeintes Geschwätz von Psychologen und kein gutgemeintes Gesetz von Politikern, sondern der gute alte Freie Bürger, welcher seine Angelegenheiten selbst in die Hand nimmt, seine Kinder ordentlich erzieht, ihnen den Unterschied zwischen Gut und Böse beibringt (und daß Amokläufe zur letzteren Kategorie gehören), und sich nicht scheut, unpopulär zu sein, wenn sein Kind es braucht. Nötig ist also ein Gegenangriff gegen die Tyrannei, nötig ist, in den unehrlichen, weil nicht so gemeinten, Worten von Angela Merkel, mehr Freiheit zu wagen. Doch dazu ist weder Merkel noch Bosbach, weder von der Leyen noch die blassen Abbilder derselben in der SPD in der Lage. Nicht einmal die ach so freiheitliche FDP wird sich – so prognostiziere ich aus Erfahrung mit früheren Amokläufen, Staatsgeldern für unverantwortliche Unternehmen, Sicherheitsgesetzen, Entrechtungsaktionen gegen Eltern, Schul- und anderen Zwängen usw. – entschieden gegen die Tyrannei wenden, die unter dem Deckmantel von Sicherheit, Schutz und Fortschritt daherkommt.

Streiflichter der Tyrannis I (Übersicht)

Einleitung: Streiflichter der Tyrannis

Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie irrelevant politische Debatten im Lichte der Realität doch sind. Politik, Psychologie und Medien arbeiten auch bei dem aktuellen Amoklauf von Baden Württemberg wieder zusammen, um eine Kampagne zu führen und neue Verbote und Regulierungen zu beschließen. Bei „Hart aber Fair“ argumentierte Bosbach (CDU) sowohl für strengere Regeln beim Kauf von Computerspielen, als auch Verbote in diesem Bereich. Ferner sollten die bisherigen Gesetze strenger ausgelegt werden, um solche Tragödien in Zukunft besser zu verhindern. Dazu müsse man auch wieder jugendliche Spitzel einsetzen, die scheinbar etwas Verbotenes kaufen, um Händler so auffliegen zu lassen. Frau von der Leyen spricht schon von „Partnerschaften“ zwischen Lehrern und Eltern: wer da wohl der stärkere Partner sein wird?

Doch wie sieht die Realität aus? Was ist der eigentliche Punkt, um den sich diese Debatte vernünftigerweise drehen soll? Ich werde an dieses Thema aus vier verschiedenen Perspektiven herangehen und versuchen auf die vorliegende Frage gleich vierfach Licht zu werfen. Diese Artikel sind sich thematisch ähnlich, so daß kleinere Überschneidungen nicht zu vermeiden sein werden, aber jeder Artikel beleuchtet die aktuelle Situation von einer anderen Warte aus.

Da die Streiflichter zusammen zu lang für einen Artikel sind, werde ich alle vier einzeln veröffentlichen. Hier nun das „Inhaltsverzeichnis“, in dem ich die anderen Artikel verlinken werde, wenn sie fertig sind.

1. A Counterstrike against Tyranny: Über die Grenzen staatlicher Macht

2. Amokläufe als Waffe für den Abbau von Elternrechten: An den Fundamenten der Freiheitserosion

3. Die Nutzung der Krisen: Mittel und Wege zum heimlichen Systemwechsel

4. Drei Mittel zur Verhaltenskontrolle, ihre Effektivität und wie man sie stärkt ohne Freiheit zu vernichten

„Asterix heißt heute Benedikt!“

Gibt es eine Medienkampagne gegen den Papst? Eigentlich für jeden Menschen mit Augen und Ohren keine Frage mehr nach den Vorkommnissen der letzten Tage. Und dennoch gäbe dies natürlich niemand zu, und ich selbst habe heute auf meinem Blog einen Kommentar erhalten, der genau dies bestritt.

Ich habe danach einmal einige andere Blogs durchsucht, und bin auf dem Blog „Mittelwächter“ auf einen Link zu einem Artikel von „eigentümlich frei“ gestoßen, eine Publikation, deren Ausrichtung als libertär zu charakterisieren ist. Die insgesamt drei dort verfügbaren Artikel zum Thema Piusbruderschaft / Hetzjagd auf den Papst gehören in der Tat zum Besten, was zu diesem Thema geschrieben worden ist. Ich werde mich darauf beschränken, einige wenige Stellen zu zitieren, doch sind die drei Artikel für Libertäre, Konservative, Mischlinge dieser beiden Arten (wie Catocon) und überhaupt jeden freiheitsliebenden, vernünftigen MEnschen absolute Pflichtlektüre.

Und dies gilt nicht nur hinsichtlich der aktuellen Kontroverse um Benedikt, sondern allgemein als Gesellschaftsdiagnose. Die allmähliche Erosion von Freiheitsrechten im Namen der Political Correctness, die Notwendigkeit von Tradition für das gesellschaftliche Zusammenleben, die lange Geschichte häßlicher Medienkampagnen gegen Anderdenkende und vieles, vieles mehr findet Platz in diesen drei Artikeln.

Eigentümlich frei vom 27. Januar:

Und während die dem Zeitgeist hinterherlaufenden Amtskirchen mit Hobby-Theaterstück-Aufführungen vor leeren Kirchenrängen peinlich auffällig werden, dürfte das ohnehin steigende Interesse am katholischen Traditionalismus wie auf der anderen Seite an evangelikalen Freikirchen weiter zunehmen. Gedankt sei der Empörungsberichterstattung jener, die zwei- bis dreimal im Jahr Adolf Hitler in Nahaufnahme mit gut sichtbarem Hakenkreuz am Revers auf ihr „Spiegel“-Cover platzieren, damit die Auflage steige.

(…)

Die 68er-(Ex-)Zeitgeistkirchen aber mit all ihrem antikapitalistischen Öko- und Drittweltklimbim – beispielhaft sei die großspurige Coca-Cola-Boykottkampagne des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) genannt – sind längst nur noch zum Davonlaufen. Und die Mainstreammedien? Würden sie ihre Wächterfunktion gegenüber der Politik oder auch nur ihren eigenen antifaschistischen Anspruch wirklich ernst nehmen, müssten sie sich gerade jetzt einsetzen für die Meinungsfreiheit des Bischofs und gegen die jedem intelligenten Menschen unwürdige und in unseligster Tradition stehende Strafverfolgung falscher Meinungen in Deutschland.

Eigentümlich frei vom 31. Januar:

Die zunehmende Empörungswelle war vorauszusehen. Sie nimmt für den Papst nun bedrohliche Ausmaße an. Der Zentralrat der Juden in Deutschland brach den Kontakt mit der Kirche ab, Israel droht mit dem Ende der diplomatischen Beziehungen, und auf dem Cover des BRD-Zentralorgans „Der Spiegel“ am kommenden Montag wird einmal nicht Adolf Hitler zu finden sein, sondern ein Bild Benedikts mit der Schlagzeile: „Der Entrückte: Ein deutscher Papst blamiert die katholische Kirche“.

Auch andere Massenmedien, allen voran die, denen die katholische Kirche von jeher ein Dorn in ihrem fortschrittlichen Auge ist, sind sich seit Tagen einig: Der Papst hat einen schweren Fehler gemacht. Er müsse ihn zurücknehmen und sich entschuldigen. Das obligatorische Unterwerfungsritual – von Kerner in seinem Tribunal gegen Eva Herman einst vor Millionenpublikum bis über jede Peinlichkeitsgrenze und abermalige Wiederholungsschleife hinweg verlangt – wird jetzt vom Oberhaupt der katholischen Kirche eingefordert. Der Papst „muss“ sich beugen und öffentlich Abbitte leisten, hören wir auf allen Kanälen. Ohnehin und endgültig, so wird schlau vom „Tagesspiegel“ eingestreut, habe sich nun das Unfehlbarkeitsdogma als „Irrtum“ erwiesen. Womit wir beim Thema sind.

Es geht offenbar um Religion. Und um Tabus. Seit Menschengedenken hat es keine Gesellschaft ohne Tabuzonen gegeben. Ausgesprochene Ge- und Verbote sowie unausgesprochene Tabus sind die Abzäunungen, die offenbar nötig sind, um ein einigermaßen reibungsloses und vorausschaubares Leben für den Einzelnen zu ermöglichen.  Die biblischen Zehn Gebote sind ein Beispiel für diese Grenzziehung. Jahrhundertelang galten sie, heute wirken sie auf viele eher lachhaft als sinnstiftend: „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben.“ Totalitäres Christentum! „Du sollst Vater und Mutter ehren!“ Autoritär und altertümlich! „Du sollst nicht ehebrechen.“ Ein guter Witz beim nächsten Besuch des Christopher Street Day! „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.“ Der Neid ist das Fundament, auf dem der moderne Sozialstaat gebaut wurde.

(…)

Die klassisch liberalen Ökonomen und Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek etwa oder Ludwig von Mises wiesen immer wieder darauf hin, dass Menschen ohne gewachsene Traditionen „sozial blind“ seien, ja gar nicht lebensfähig.

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Das sehen auch die neuen Hohepriester der „Political Correctness“ so. Sie schufen deshalb neue Ge-und Verbote, deren Infragestellung keinem Menschen wirklich zu empfehlen ist. Heilig ist nun vor allem anderen die „Demokratie“.

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Dabei waren so ziemlich alle griechischen Philosophen und selbst alle Gründerväter der USA sich noch einig darin, dass demokratische Staaten dem Untergang geweiht sind.

Mit der Demokratie glauben wir heute an die Gleichheit des Menschen. Weshalb zum Beispiel die IQ-Forschung tabuisiert wird. Rassen, ja selbst Geschlechter, so wird uns nun gesagt, gibt es nicht (mehr). Männlichkeit und Weiblichkeit werden bereits im Kindergarten verfolgt und ausgetrieben wie einst allenfalls der Teufel.

Als wäre dies nicht genug, hat ein höchst diesseitiger Schuldkult die christliche Ursünde abgelöst. In den USA ist es die Schuld des weißen Mannes, die heute eine messiasähnliche Rolle Barack Obamas – und in Deutschland Liveübertragungen seiner Amtseinführung auf allen Kanälen gleichzeitig – ermöglichen. Auch hierzulande wird diesseitig Schuld zelebriert – die „spezifisch deutsche Schuld“. Der deutsch-amerikanische Historiker Paul Gottfried erklärt den Wandel so: Die metaphysische individuelle Schuld sei vor allem im protestantischen Nordeuropa, in den USA und Kanada in eine gesellschaftliche Schuld umwandelt worden. Manche säkularen Intellektuellen und einige protestantische Theologen sähen in dieser Schuldannäherung die Erfüllung der in der Bibel nur angedeuteten sozialen Gerechtigkeit sowie der christlichen Pietät. Die frühere christliche Verpflichtung zur Nächstenliebe werde, so Gottfried, heute in einen gesellschaftlichen Zwang umgewandelt. Der Umfang des zu bekämpfenden menschlichen Verhaltens – Stichwort: Antidiskriminierungsgesetze – werde dabei ständig erweitert.

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In der gewaltigen Medienkampagne, die nun gegen den Papst geführt wird, ist ihre Hemmungs- und Erbarmungslosigkeit auffallend. Widerspruch, und sei es auch nur am Rande der Debatte, wird nicht mehr geduldet. In die Fernseh-Talkshows zum Thema wurde schlicht kein einziger Gast eingeladen, der auch nur ansatzweise der Anklage widersprochen hätte.

(…)

Nun gibt es aber zwischen den Ge- und Verboten der modernen Politischen Korrektheit und den biblischen Zehn Geboten einen grundlegenden Unterschied. Handelte es sich früher vor allem um tabuisierte Handlungen (Ehebruch, Diebstahl, Mord) oder Verbote handlungsanfälliger Gefühle (Neid, Untreue, auch gegenüber Gott), so tabuisieren Politiker und Medien heute alleine unbotmäßige Gedanken, das Suchen nach wissenschaftlicher Wahrheit (Genderideologie, Klimahysterie) oder geschichtlichen Zusammenhängen (Feminismus, Schuldkult). Die Moderne, die sich vordergründig die Vergötterung der Ratio auf die Fahnen schrieb, ist damit „hinten rum“ bei der Verteufelung selbstständigen Denkens angekommen.

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Und es gibt noch einen Gegensatz zwischen den alten und neuen Dogmen: Die Zehn Gebote haben ihren Praxis-Test als Leitfaden für einige Jahrhunderte bestanden. Heutige westliche Gesellschaften unter dem Diktat der Political Correctness müssen ihre Überlebensfähigkeit erst noch beweisen. Ein Blick auf die demographischen Daten zeigt, dass die durchgehende Politisierung und Sexualisierung des Zusammenlebens und das Ersetzen der Familie durch den anonymen Sozialstaat möglicherweise ein Ein-Generationen-Experiment ist, das mangels Nachwuchs in massenhaft mental vereinsamten wie materiell verarmten Altengesellschaften sein Ende findet könnte.

Dennoch scheint die Herrschaft der ökosozifemiantifapolitischen Korrektheit heute unumschränkt. Beinahe jedenfalls. Denn wieder einmal existiert ein kleines Dorf in Gallien. Asterix heißt heute Benedikt! Die Katholische Kirche als Sinn- und Gebotsstifter der Vergangenheit ist der naturgemäß größte Feind der heutigen Ersatzreligion Political Correctness. Es geht um nicht weniger als einen Kulturkampf zwischen altem und neuen gesellschaftlichen Überbau, zwischen Religion und Pseudoreligion, ja auch zwischen alten, konservativen, rechten und oft marktwirtschaftlichen Vorgaben hier und neuen, progressiven, linken und staatsvergottenden Diktaten dort. Deshalb – und nicht wegen einiger wirrer Aussagen eines Mitbruders, die mit den Interessen und Aufgaben der Kirche so wenig zu tun haben wie der Lieblingsfußballverein des Pfarrers von Gelsenkirchen – wird nun auch der Papst von den üblichen Verdächtigen so bösartig angegangen wie in der deutschen Presse seit 1945 nicht mehr.

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Es bleibt also interessant. Denn der Papst und die ihm folgenden Teile der katholischen Kirche stehen keineswegs alleine. In vielen Fragen wird er unterstützt von der (hier gesamten) russisch-orthodoxen Kirche im Osten wie von amerikanischen Evangelikalen im Westen. Dabei – und nun wird es richtig spannend – ist der Muselman als möglicher Partner noch gar nicht genannt.

Eigentümlich frei vom 3. Februar:

Die Medienkampagne explodiert. Zuerst schreibt Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, höchstselbst in seiner „Bild“: „Es ist moralisch das Allerletzte, das Allerverachtenswerteste, wenn einer das rassistische Morden relativiert. Der Papst hat einen schweren Fehler gemacht.“ [Wird hier nicht insinuiert, der Papst hätte den Holocaust geleugnet? – Catocon]

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Spiegel-Online, die quasi amtliche deutsche Nachrichtenseite im Internet, kennt seit Tagen nur noch ein Thema. Hier eine unvollständige Auswahl von sechs „Spiegel“-Artikeln alleine vom heutigen Tage, die Überschriften alleine sprechen für sich: „Holocaust-Debatte: Merkel fordert Papst zur Klarstellung auf“, „Kritik vom Zentralrat: Verhältnis der Juden zum Vatikan vergiftet“, „Katholische Hardliner: Wie die Piusbrüder gegen Juden, Muslime und Schwule hetzen“, „Päpstliches PR-Desaster: Warum der Vatikan die Krise nicht beherrscht“, „Streit über Holocaust-Leugner: Kardinal Lehmann nennt Papst-Entscheidung Katastrophe“, „Hells Bells: Papst erschüttert Katholiken“.

In jeder der vergangenen Medienkampagne (Möllemann, Hohmann, Herman etc.) spielten die gedruckte „Bild“, Spiegel-Online (und Druck) sowie die Staatsfunker von ARD und ZDF die Rolle der drei Einheizer (ef berichtete). Politiker und Promis flankierten jede der Kampagnen.

(…)

Sprache und Prominenz der Wortmelder sind verräterisch. Inzwischen ahnt auch der Letzte, dass hier ein Religionskrieg ohne Erbarmen geführt wird. Medien und Politik als Hohepriester der säkularen Religion der Politischen Korrektheit verlangen nicht weniger als die Unterwerfung ihres letzten Widersachers. Der Papst „muss“, so fordern sie es offen wie von einem angeklagten Verbrecher, ihrer Anweisung Folge leisten und das in Deutschland strafbewährte „Leugnen des Holocausts“ (gemeint ist konkret ein Infragestellen der sakrosankten Millionenziffer) vom Zivilrecht ins Kirchenrecht übertragen. Eine im Grunde absurde Forderung. Aber in Zeiten, in denen selbst der Deutsche Fußballbund politisch korrekte Elemente in seine Verbandsjustiz einwebt ist auch diese Absurdität nur konsequent. Die neue säkulare Religion strebt wie einst ihre Vorläufer NSDAP oder SED heute nicht mehr allzu verdeckt eine totalitäre Herrschaft über „alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens an“. Ausnahmen selbst im Kirchenrecht können nicht mehr geduldet werden.

(…)

Jede der jüngsten Medienkampagnen vergrößerte den Graben zwischen der veröffentlichten Meinung und dem Volk. Mit jeder neuen Kampagne verlieren Politik und Medien abermals an letzten Vertrauensresten. Die „Welt“ ließ eine Online-Umfrage zu: „Papst Benedikt XVI. hat mit seinen jüngsten Entscheidungen viel Kritik hervorgerufen. Wie beurteilen Sie seine Arbeit?“, fragt die „Welt“. Die überwältigende Mehrheit von 64 Prozent der bis heute etwa 25.000 Teilnehmer der Abstimmung antwortet: „Sehr gut, er zieht seine Linie durch und macht alles richtig.“ Kommentatoren in Online-Foren werden wie in den vorangegangenen Medien-Kampagnen in Massen zensiert und gelöscht oder in dieser Frage gar nicht erst zugelassen. Die ob der Medien-Hatz empörten Leserbriefe, so sickert aus den Redaktionen durch, gehen erneut in jedem Zeitungshaus in die Tausende.

Und doch herrscht ein geradezu gespenstisches sowjetisches Medien-Einheitsbild. Wie in den besten Zeiten der DDR werden immer neue „klassenbewusste“ Zeugen der Anklage vorgeführt. Darunter auch papst-kritische deutsche katholische Bischöfe. Kann es irgendwen verwundern, dass die vom deutschen Sonderrecht der Kirchensteuer wohlgenährten Vertreter der Amtskirche Vater Staat und dessen Glaubensdoktrinen im Zweifel eher Gefolgschaft leisten als dem heiligen Vater in Rom?

Was hat der Papst eigentlich getan? Er hat vier Exkommunikationen – für gläubige Katholiken so etwas wie eine seelische Todesstrafe – auf persönliche Bitten zurückgenomme. Der Oberhirte aus Rom interessiert sich dabei schlicht nicht für die Riten, Glaubenssätze und Tabus der konkurrierenden Ersatzreligion. Wer glaubt, dass es quasireligiöse Vorgaben nicht mehr gibt, der überprüfe sich einmal selbst beim Versuch, einen Satz zum Holocaust zu sagen. Oder er lese die eingangs zitierten Worte des einflussreichsten deutschen Verlegers.

(…)

Uns wird nun fortlaufend erzählt, dass auch viele Katholiken über den Papst entsetzt seien. Das ist richtig. Es sind aber vornehmlich die Seichten, die der Ersatzreligion der politischen Korrektheit bereits mehr ergeben sind als ihrer katholischen Kirche. Wahr ist aber auch: Für noch mehr Anders- und sogar Ungläubige ist der Papst dieser Tage der letzte Hoffnungsträger der Abwehr einer ins Totalitäre gehenden Politischen Korrektheit, die keinerlei Anstand und Erbarmen mehr kennt. Es sind – vielleicht nicht zur Freude der Piusbrüder – eben auch viele evangelische und orthodoxe (diese ohnehin) Christen sowie nicht zuletzt auch Moslems und Atheisten, die heute nach Rom blicken und sagen: „Sehr gut, er zieht seine Linie durch und macht alles richtig!“

Eine Anmerkung noch zu dem letzten Punkt: Es kommt wirklich nicht mehr darauf an, welcher Religion man angehört, sondern zunehmend nur noch darauf, ob man davon überzeugt ist, daß die Nützlichkeitsideologie transzendierende Werte, Traditionen, individuelle Freiheit (statt kollektive Optimierungsideologie) wichtig und notwendig sind, oder ob man lieber diese FReiheit aufgibt für die Schöne Neue Welt der klinisch reinen „wissenschaftlichen“ Ideologien. Ob christlich oder atheistisch, islamisch oder jüdisch; ob links, grün, liberal oder konservativ; all dies wird keine Rolle mehr spielen. Daher schrieb ich am Ende meines Artikels „Der weise Benedikt: Zur Funktion der Tradition„:

Tradition und Fortschritt – das werde ich nicht müde zu betonen – sind beide notwendig und müssen Hand in Hand gehen. Die Einbindung des Traditionalismus in alle Bereiche der Gesellschaft ist daher eine notwendige Bedingung für den Erhalt unserer Zivilisation. Dies gilt, und damit schließe ich, nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Politik, wenngleich diese natürlich eine höhere Kompromißbereitschaft zum Zeitgeist hin braucht, und erst recht für jeden Einzelnen. Tradition ohne Fortschritt läßt eine Gesellschaft versauern in ewig ausgetretenen Pfaden und führt zur totalen Stagnation; Fortschritt ohne Tradition erzeugt entwurzelte, atomisierte Individuen, die dem ersten Rattenfänger nachlaufen, der sich ihnen anbietet, da sie keine Orientierung und kein Verständnis von Richtig und Falsch besitzen. Derzeit rudern die Konservativen gegen den Strom, und sie verlieren an Boden. Im Papst haben sie einen wichtigen Freund, und da konservative und progressive Haltungen beide erforderlich sind für eine wahrhaft gute Gesellschaft, hat jeder, der am Fortbestand und der positiven Entwicklung unserer Gesellschaft interessiert ist, einen guten Freund im Papst. Und solche gute Freunde braucht die Welt derzeit – ob atheistisch, agnostisch, jüdisch, christlich, islamisch oder was auch immer – wahrhaft dringend. Gut, daß wir ihn haben. Schlecht, daß viele ihn diskreditieren wollen.

Zu der Frage der radikalen Toleranzideologie, auch unter dem Namen „Political Correctness“ bekannt empfehle ich diesen Artikel, den ich vor einiger Zeit geschrieben habe: „Toleranz als Adjutant der Freiheit

Ferner: Jim Kalbs „The Tyranny of Tolerance“ (aus dem letzten Oktober zu diesem seit Jahren an Bedeutung zunehmenden Phänomen)

Die katholische Kirche steht derzeit durch ihren Papst noch eindeutig hinter der Tradition und hinter ihren eigenen Grundwerten (das unterscheidet sie, wie Merkels Äußerungen zum Thema Piusbruderschaft beweisen, von der CDU). Solange dies der Fall ist, hat die Kirche es verdient, daß Menschen aller Glaubensrichtungen (oder gar keiner) ihr für ihre Standhaftigkeit in dieser wesentlichen Frage der Zukunft unserer Zivilisation danken, und sie verteidigen, wenn sie angegriffen wird.

Also bleibe ich dabei: Weiter so, Benedikt!

Benedikt und der Medienhype: Nachtrag

Daß es sich um eine Medienkampagne aus interessierten Kreisen gegen einen konservativen Papst handelt und nicht um ein ehrliches Berichten über einen Konflikt innerhalb der katholischen Kirche über die Piusbruderschaft könnten auch folgende kleine Fakten belegen:

Heute ist der4. Februar 2009. Vor sechs Tagen entschuldigte sich Bischof Williamson für seine Äußerungen und den Schaden, den er dem Papst und der Kirche zugefügt hat. Hier seine tatsächlichen Worte in einem Brief an den Kardinal Castrillón Hoyos:

Your Eminence

Amidst this tremendous media storm stirred up by imprudent remarks of mine on Swedish television, I beg of you to accept, only as is properly respectful, my sincere regrets for having caused to yourself and to the Holy Father so much unnecessary distress and problems.

For me, all that matters is the Truth Incarnate, and the interests of His one true Church, through which alone we can save our souls and give eternal glory, in our little way, to Almighty God. So I have only one comment, from the prophet Jonas, I, 12:

„Take me up and throw me into the sea; then the sea will quiet down for you; for I know it is because of me that this great tempest has come upon you.“

Please also accept, and convey to the Holy Father, my sincere personal thanks for the document signed last Wednesday and made public on Saturday. Most humbly I will offer a Mass for both of you.

Sincerely yours in Christ

+Richard Williamson

Ob man dies nun allein schon für ausreichend hält, um die Worte Williamsons zu entschuldigen oder nicht: Wären die Medien an einer neutralen Berichterstattung interessiert, dann hätten sie dies auch berichten müssen. Offensichtlich sind die Mainstream-Medien aber nicht an einer neutralen, sachlichen Berichterstattung sondern an einer Diffamierungskampagne gegen Benedikt XVI. interessiert, oder allgemein gegen konservative Katholiken, die es wagen, ihrer Überzeugung entsprechend zu sprechen und zu handeln.

Eine fünfminütige Recherche im Internet erbrachte für diesen Brief gleich drei Quellen hervor:

Rorate Caeli; WDTPRS; Scott P. Richards

Und für diese „journalistische Meisterleistung“ habe ich nicht einmal Google gebraucht, keine journalistische Ausbildung, und erst recht nicht die riesigen Ressourcenberge der professionellen Journalisten bei den Fernsehsendern und überregionalen Tageszeitungen, die sich seit Tagen mit dem Fall beschäftigen. Wohlgemerkt: der Brief ist sechs TAGE alt.

Ferner wurde das Interview mit Williamson „zufällig“ in dem Moment bekannt, in dem der Papst die Aufnahme der vier Bischöfe aus der Piusbruderschaft (darunter auch Williamson) bekanntgab. In diesem Zusammenhang sind auch gewisse Berichte interessant, die italienische Religionsjournalisten (die scheinbar ihre Arbeit wenigstens noch ernstnehmen) aus Kreisen des Vatikans berichten. Diesen zufolge sei das Interview, in dem Williamson seine umstrittenen Äußerungen geäußert hat, schon am 22. November 2008 geführt worden, und erst zwei Monate später veröffentlicht worden (freilich BEVOR der Papst seine Entscheidung bekanntgab, wenn auch sehr kurz davo). Diese Unstimmigkeiten und Fragwürdigkeiten und andere führten zu folgenden Berichten:

Paolo Rodari

IlGiornale.it

Und für die des Italienischen nicht oder nur sehr rudimentär mächtigen (wie mich), welche den Inhalt dieser beiden Berichte nur extrem grob verstehen noch eine englische Zusammenfassung und Auszüge des ganzen:

Rorate Caeli

Wie glaubwürdig diese Behauptungen sind, kann natürlich an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Merkwürdig ist aber wiederum, daß aus den Mainstream-Medien ABSOLUT NICHTS davon zu hören ist. Diese recyclen jeden Tag erneut dieselben zehn Sätze über die abscheuliche Meinung Williamsons zum Holocaust, die gekünstelte Aufregung verschiedener Katholiken, Politiker und anderer Amtsträger, die sich bei linksliberalen Kreise anbiedern möchten; und das obgleich sich Benedikt noch eine Woche vor der Entscheidung über die Aufnahme der vier Bischöfe öffentlich und DEUTLICH gegen die Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust und FÜR einen tieferen Dialog mit anderen Religionen, darunter auch dem Judentum, ausgesprochen hatte!

Berichtet wird auch die verständliche Aufregung aus jüdischen Kreisen, welche explizit eine weitere Versicherung des Papstes fordern, daß er nicht hinter den Worten Williamsons stehe.

Wären die Mainstream-Medien neutral, so gingen sie solchen BErichten und Vorwürfen wenigstens ernsthaft nach, berichteten über sie, und hielten sich mit insinuierten Rücktrittsforderungen gegen den Papst eifrig zurück!

Vielleicht ist der Papst aus Deutschland ja inzwischen aus Schaden klug geworden und findet einige deutliche Worte – oder fällt eine für alle nachvollziehbare Entscheidung.

Und nur drei Zeilen darunter in einem nachträglichen Informationskasten:

Kann ein Papst zurücktreten?

Deutlicher geht es ja wohl nicht mehr. Welche „nachvollziehbare Entscheidung“ die „Journalisten“ wohl meinen? Vorher war an keiner Stelle von einem Rücktritt die Rede, niemand hat ihn dem Artikel zufolge gefordert usw. Aber dann plötzlich diese Frage und die bejahende Antwort. Ach, hielten sich die Medien doch wenigstens an gewisse Minimalstandards der Ehrlichkeit und unterließen plumpe Lügen, Einseitigkeiten und versteckte Rücktrittsforderungen wie diese! Es wenigstens offen zu fordern, sind diese Menschen wohl zu feige!

Mir bleibt nur, die nahezu endlose Reihe von einseitiger Berichterstattung zum Thema beiseite zu lassen, denn meine Zeit ist im Gegensatz zu den Schmierblättern und -sendern dieser Welt stark begrenzt.

Bleib stark, Benedikt! Weiter so!

Nachtrag II: (Von der Homepage der Piusbruderschaft) [7 Tage alt!!]

Stellungnahme des deutschen Distriktoberen zu den Aussagen von Bischof Williamson:

Als Distriktoberer der Priesterbruderschaft St. Pius X. in Deutschland bin ich mit meinen Mitbrüdern erschüttert über die Aussagen von Bischof Williamson hier in diesem Land.

Die Verharmlosung der Judenmorde des NS-Regimes und dessen Greueltaten sind für uns inakzeptabel.

Die Verfolgung und Ermordung von zahllosen Juden im Dritten Reich berührt uns äußerst schmerzlich, verletzt sie doch zutiefst das christliche Gebot der Nächstenliebe, die keine ethnischen Unterschiede kennt.

Ich möchte mich für dieses Verhalten entschuldigen und mich von jedweder Aussage dieser Art distanzieren.

Für uns ist eine solche Distanzierung auch deshalb selbstverständlich, weil der Vater von Erzbischof Lefebvre selbst in einem KZ umgekommen ist und auch viele katholische Priester in Hitlers Straflagern ihr Leben ließen.

Stuttgart, den 27.01.2009

Pater Franz Schmidberger
Distriktoberer

Und ferner: [ebenfalls 7 Tage alt!!]

Kommuniqué des Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X.
Bischof Bernard Fellay zu Bischof Williamson.

Wir haben von einem Interview Kenntnis erlangt, das Bischof Richard Williamson, der ein Mitglied unserer Bruderschaft ist, dem schwedischen Fernsehen gab. In diesem Interview äußert er sich auch zu historischen Fragen, insbesondere zum Judenmord der Nationalsozialisten. Es ist offensichtlich, daß ein Bischof nur zu Fragen des Glaubens und der Moral mit religiöser Autorität sprechen kann. Unsere Bruderschaft beansprucht keinerlei Autorität über historische oder andere säkulare Fragen. Die Mission der Priesterbruderschaft ist die Verbreitung und Wiederherstellung der authentischen katholischen Lehre, wie sie in den Dogmen niedergelegt ist. Dafür sind wir weltweit bekannt, akzeptiert und geschätzt. Wir sehen mit großer Sorge, wie die Überschreitung dieses Auftrages durch unser Mitglied unserer religiösen Mission schweren Schaden zufügt. Wir bitten den Heiligen Vater und alle Menschen guten Willens um Entschuldigung für den dadurch hervorgerufenen Ärger. Dabei muss klar sein, dass diese Äußerungen in keiner Weise die Haltung unserer Gemeinschaft wiedergeben. Deshalb habe ich Bischof Williamson bis auf weiteres jedwede öffentliche Stellungnahme zu politischen oder historischen Fragen untersagt.

Die ständig vorgebrachten Anklagen gegen unsere Bruderschaft dienen offenkundig auch dem Zweck, unsere Mission zu diskreditieren. Das werden wir nicht zulassen, sondern fortfahren, die katholische Lehre zu verkünden und die Sakramente in ihrer altehrwürdigen Form zu spenden .

Menzingen, den 27. Januar 2009

Bischof + Bernard Fellay
Generaloberer

Doch die Medien möchten ja weder hören noch sehen. Der Skandal ist einfach zu schön für sie.

Der weise Benedikt: Zur Funktion der Tradition

1. Einleitung: Medienhype

Viel Aufhebens wird derzeit getrieben um die Piusbruderschaft in der katholischen Kirche. Papst Benedikt XVI. hatte vier Persönlichkeiten aus dieser Gruppe, die bislang suspendiert waren, in die Kirche zurückgeholt. Eine dieser Persönlichkeiten hatte ohne Wissen und Zustimmung des Papstes Äußerungen getan, die sich Medienberichten zufolge als Leugnung des Holocausts deuten lassen. Hierzu habe ich keine Meinung, da ich die Äußerungen in Original nicht gelesen oder gehört habe. Anders ist es aber bei dem Medienhype gegen Benedikt, der sich in der deutschen Presse abspielt. Ob Williamson die perverse und nach allen historischen Quellen falsche Auffassung vertritt, den Holocaust habe es nie gegeben, oder nicht, scheint gar nicht mehr das Thema zu sein. Denn daß der Papst oder die katholische Kirche diesen Äußerungen zustimmen, stand niemals zur Debatte. Die katholische Kirche bezweifelt nicht den Holocaust, sondern bemüht sich seit langer Zeit um gute Beziehungen zu Angehörigen der jüdischen Religion. Kritisiert wird in den Medien hauptsächlich die wahlweise „erzkonservative“, „ultrakonservative“ oder einfach nur „konservative“ Haltung der Piusbruderschaft zu einer ganzen Reihe von Themen, darunter an prominenter Stelle das II. Vatikanische Konzil. Dieses, und darin vor allem die seither in Landessprache zu haltende Messe, lehnt diese Gruppe ab.

2. Wie Blätter im Wind

Damit steht sie in Opposition zu der Gruppe der katholischen Kirche, die auch in Deutschland vorherrschend ist, und als Hauptziel die Anpassung der Kirche an den Zeitgeist sieht. Doch ist dies für eine Kirche, zu deren Glaubensgrundsätzen gehört, daß sie im Besitz ewiger Wahrheiten (aus der Bibel) ist, nicht ein merkwürdiges Ziel? Ganz sachlich betrachtet kann jemand, der sicher weiß, daß er im Recht ist, nicht einfach eine radikale Kehrtwende machen, ohne sich lächerlich zu machen. Wenn die Kirche daher im Widerspruch zum Zeitgeist steht, dann kann der gläubige Katholik nicht die Kirche verändern wollen, sondern nur den Zeitgeist. Diese elementare Einsicht fehlt den Bischöfen und Kardinälen, die heute in Deutschland in der katholischen Kirche zu sagen haben, aber offensichtlich völlig. Und die Medien akzeptieren die von ihnen regelmäßig als „altmodisch“ gebrandmarkte Kirchenvertreter (selbst in ihrer weichgespülten „modernisierten“ Version) nur dann, wenn diese regelmäßig vor dem Altar der Moderne Verbeugungen machen. Werden diese verweigert, berichten die Medien sehr negativ (man erinnere sich an Bischof Mixa, welcher es in gemäßigter Form gewagt hatte, die kinderfeindliche Familienpolitik der letzten Jahre sowie die egozentrischen Aktionen vieler heutiger Eltern zu kritisieren, und auf die offensichtliche Alternative hinzuweisen). Wenn jemand sogar wagt, den (Post-)Modernismus des Zeitgeistes offen beim Namen zu nennen und eine Rückkehr zu bewährten, zeitgeprüften Positionen zu fordern, dann bleibt es nicht mehr bei der negativen Berichterstattung, es kommt zu Hetzjagden. Dies ist derzeit bezüglich des Papstes und der Piusbruderschaft der Fall.

Das zweite Vatikanum war das Zeichen der katholischen Kirche, daß sie bereit vor, vor den Kräften des Modernismus zu kapitulieren (oder diesen zumindest entgegen zu kommen) . Schritt für Schritt hat die Kirche unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zu einem moderateren Kurs zurückgefunden und wieder einen Dialog mit dem konservativen Flügel der eigenen Kirche begonnen. Zu einem solchen Dialog gehört auch, daß man die Abweichler als legitime Mitglieder der eigenen Organisation anerkennt und nicht weiter ausgrenzt. Daß dies denselben Kirchenfunktionären nicht gefällt, die bis heute noch nichts daran finden, daß sie über viele Jahre Komplizen bei dem Verbrechen der legalen Massenabtreibung in Deutschland waren (durch die Ausstellung von Darf-Scheinen nach pro-forma-Beratungen), ist offensichtlich und auch verständlich. Wer den Zweck einer Kirche darin sieht, sich so weit nach dem Wind zu neigen, bis das Rückgrat bricht, der sollte sein Glück in der CDU versuchen, denn derartige Leute kommen dort sehr schnell bis in die höchsten Parteiämter, aber er sollte doch bitte nicht versuchen, die Position der Kirche zu beeinflussen.

Eine Kirche ist keine politische Organisation. Politische Organisationen wie z.B. Parteien müssen aktiv am Beschluß von Gesetzen mitarbeiten, und dazu auch häufig Kompromisse eingehen (auch hier gibt es allerdings Grenzen, die in den fundamentalen Prinzipien liegen; wer keine hat, sollte auch nicht in einer Partei aktiv werden, sondern ein großes Unternehmen managen). Solche Kompromisse können etwa dazu führen, daß man ein Gesetz akzeptiert, das man für völlig verfehlt hält, um etwas durchzusetzen, das aus der eigenen Sicht notwendig ist; oder um Schlimmeres zu verhindern. Im Politischen gibt es immer Spielräume für Abweichungen von den eigenen Positionen, weil pragmatische Entscheidungen getroffen werden. Praktische Politik ist die Kunst, soviel wie möglich an als richtig empfundenen Positionen durchzusetzen. Davon unterschieden werden muß die Aufgabe der Kirche. Denn die Kirche ist nicht im Parlament und entscheidet auch nicht über Gesetze (zumindest heute nicht mehr). Und solange sie nicht über Gesetze entscheiden muß, ist sie verpflichtet, ihre Ansichten und Prinzipien, auch dem Zeitgeist entgegen, vorzutragen und friedlich für sie zu streiten.

Eine Kirche, welche sich nach dem Wind neigt, um mehr Gläubige in ihren Reihen zu begrüßen, oder ihre Doktrin ändert, weil diese unpopulär geworden ist, wird schnell an Mitgliedern verlieren. Nicht umsonst ist die Vereinigung, die früher als Evangelische Kirche bekannt war, inzwischen weder präsent noch steht sie für irgendetwas, außer die diffuse Wohlfühlreligion einer Frau Käßmann (ich sagte es bereits: sie steht für gar nichts). Funktional gesprochen gibt Religion Halt in der Welt. Beginnt Religion, sich im Wind zu beugen, wird sie bald überflüssig. Dies ist der evangelischen Kirche in Deutschland bereits so gegangen, und wenn der Papst irgendwann einmal der Auffassung der jetzt protestierenden Kirchenmänner folgen sollte, wird es der katholischen Kirche auch so gehen.

Würde man Umfragen machen in den Kreisen der deutschen Medien- Politik- und Wirtschaftselite, die evangelische Kirche wäre sicher weit beliebter. Die katholische Kirche ist extrem unpopulär wegen ihrer konsequenten Haltung zu Themen wie Verhütung, Abtreibung und Homosexualität – zumindest außerhalb ihrer bis heute signifikanten und stabilen Anhngerschaft. Jeder mag die evangelische Kirche irgendwie, aber niemand besucht sie, und niemand nimmt sie als Religionsgemeinschaft ernst.

Die Haltung Benedikts zur Piusbruderschaft ist eine der vorsichtigen Annäherung, Benedikt selbst hat Sypathien für den konservativen Flügel der katholischen Kirche (also nicht den linksliberalen Flügel, den die Medien für konservativ halten, der dies aber nur in der verzerrten Perspektive der Medien auch ist), gehört ihm aber nicht an. Eine katholische Kirche, die Einfluß auf die Köpfe und Herzen der Menschen nehmen will – und dies ist ein wesentlicher Auftrag der Kirche nach ihrem eigenen Verständnis – kann sich nicht abgrenzen, nein, soll sich nicht abgrenzen, gegenüber Strömungen, die traditionellen Katholizismus einfordern statt modernisierter Weichspülreligion. In einer Zeit der steten Erneuerung, in der die Dinge sich schneller ändern, als selbst die ultraflexiblen unter den Fortschrittlichen sich noch an sie anpassen können, braucht die Welt feste Pfeiler, an denen Menschen sich festhalten können, die ihnen die Gelegenheit bieten, nicht vom Strom des Zeitgeistes und des Trends mitgerissen zu werden, sondern innezuhalten und zu reflektieren, ob der von allen hysterisch begrüßte Wandel wirklich gut ist, oder ob nicht an einigen Stellen korrigiert werden muß. Solche Pfeiler sind Religionen und Philosophien.

3. Fortschritt als Naturgewalt?

Schnelle Fluten des Wandels haben für die in ihnen Gefangenen eine gewisse Naturgewalt, eine Notwendigkeit und eine Unausweichlichkeit. Darin ähneln sie den in der Natur auftretenden Fluten. Von ihnen mitgerissen ist man versucht, nur noch irgendwie mitzukommen, damit das Boot nicht vollends kentert, während es nach vorn gerissen wird. Doch trotzdem müssen Kurskorrekturen gemacht werden – und wenn vor dem Bug ein Wasserfall auftaucht, dann braucht das Schiff jemanden, der ihn rechtzeitig sieht, und eine Mannschaft, die mit aller Kraft gegen die Strömung anrudert. Den Überblick zu behalten in den chaotischen Zeiten des Wandels ist ohnehin nicht leicht. Aber angefeuert von einer Horde Medienvertreter, Wirtschaftsbosse und Politiker, geht es heute nur noch darum, ob man mit aller Kraft und gesenktem Blick nach vorn rudern soll, oder sich einfach von den Kräften des Marktes, der Globalisierung und der gesellschaftlichen Entropie mitreißen lassen soll. Zwischen diesen scheinbaren Gegensatzpolen bewegt sich der öffentliche Diskurs in Deutschland. Da ist es nur natürlich, daß dem Deutschen heute das Vokabular in aller Regel fehlt, um die Unterschiede zu beschreiben, die einen deutschen Bischof von Lefèbvre und der ihm nachfolgenden Piusbruderschaft trennt.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Bischof immer konservativ, da er weniger enthusiastisch den Kurs des Ruderns in Strömungsrichtung bei gesenktem Kopf unterstützt, als nahezu alle Meinungsführer. Und dennoch sind diese Bischöfe sehr angepasst an den Zeitgeist, und versuchen mit einer bewusst gemäßigten, pragmatischen Position die Kräfte des Fortschritts in einen Diskurs darüber zu verwickeln, ob man nicht in einigen wenigen Punkten mal wieder den Blick heben sollte, und sich überlegen, ob der Kurs noch stimme. Der Papst selbst, mit seiner konservativen Grundausrichtung, ist skeptisch der Moderne und vielen ihrer (Fehl-)Entwicklungen gegenüber, ob er persönlich das zweite Vatikanum ablehnt, weiß ich nicht – er versteht jedenfalls diejenigen, die es am liebsten täten. Die Piusbruderschaft lehnt den Wandel in der Kirche und der Gesellschaft im Wesentlichen ab – nicht aufgrund von Ablehnung des Wandels überhaupt, es geht vielmehr um Tempo und Richtung. Diese traditionalistische Haltung ist völlig unverständlich für denjenigen, dessen Geschichtsbild ein unaufhaltsames Fortschreiten des Menschengeschlechts in immer aufgeklärtere, bessere Weltzustände umfasst – und erst recht für denjenigen, der überhaupt kein Geschichtsbild hat, da man „in die Zukunft blicken“ muß.

Daß eine Medienlandschaft, für die Geschichtsbetrachtung sich in einer ewigen Geißelung der gleichen Verbrecher, so wichtig sie für sich genommen auch ist, erschöpft, kann eine konservative oder traditionalistische Haltung notwendig nicht verstehen. Warum will jemand an einer Messe auf Latein festhalten, wenn doch die Kirchgänger kaum Latein verstehen? Warum nicht in Landessprache? Wer nicht die autoritative Stimme der Tradition hören kann, wird einer solchen Frage gegenüber sprachlos bleiben – es sei denn er sagt: „es gibt keinen Grund dafür“. Wer glaubt, daß jede Generation die Welt neu erfinden solle, oder überhaupt könne, der wird keinen Widerstand gegen den Fortschritt verstehen. Wer aber überzeugt davon ist, daß die Tradition nützliche Einsichten enthält, weil in der Vergangenheit viele Probleme in derselben oder analoger Form existierten, der kann auf ein enormes Potenzial an Weisheit zurückgreifen – einiges davon wird bei Anwendung sich als fehlerhaft erweisen und einiges wird fehlerhaft angewendet werden. Doch eine solche Quelle der Weisheit verschließt sich derjenige, der mit dem Satz „das ist jetzt Geschichte“ meint, es sei unbedeutend geworden.

4. Dialog mit der Tradition

Ob man nun das II. Vatikanische Konzil befürwortet oder ablehnt, darum geht es bei dem aktuellen Skandal nur peripher (denn Benedikt hatte keine Umkehr in dieser Frage beschlossen, sondern die Aufnahme einiger Bischöfe, die in Opposition zu den Beschlüssen dieses Konzils stehen). Noch weniger geht es um die skandalösen Äußerungen eines Williamson. Es geht darum, ob es zulässig ist, wenn eine Kirche einen respektvollen internen Dialog über den Kurs der Modernisierung im Inneren und in der die Kirche umgebenden Außenwelt führt, oder ob dies in Deutschland nicht akzeptabel ist. Kurz gesagt: Ist die katholische Kirche dialogfähig mit ihrer eigenen Tradition, oder lehnt sie diese generell ab? Sollte sich die Kirche letztlich entscheiden, mit ihrer eigenen Tradition vollends zu brechen, und die Zeit vor dem zweiten Vatikanum mit Denkverboten zu belegen (wie sie es durch die Exkommunikation Lefèbvres bereits einmal versucht hat), dann würde sie zu einer zweiten evangelischen Kirche: mutlos, leer und totgeweiht.

Denn in den oben erwähnten reißenden Fluten des Wandels braucht es jemanden, der den Überblick behält, woher das Boot kommt und wohin es will. Die Reise, auf der sich die Gesellschaft befindet, darf nicht bloß bestimmt sein durch die Strömung, in der man sich zwecks Genuß der Schiffsvorräte gerade treiben lässt – und zwar um so weniger, je rapider der Wandel, je schneller die Strömung ist. Und wie gesagt sind es gerade Religionen und (aufgrund ihrer schwächeren Verwurzlung im Transzendentalen und damit Zeitlosen) in geringerem Maße auch Philosophien, welche Orientierung bieten und Verständnis erlauben, und welche nicht mit dem Zeitgeiste, sondern sich widerborstig ihm entgegenstellend, die richtigen Fragen aufwerfen. Wohin treibt eine westliche Zivilisation, inder jede dritte Schwangerschaft (und mehr in Osteuropa) vorzeitig durch Tötung des Kindes unterbrochen wird? In der der Akt der Fortpflanzung, der Sexualakt, keinerlei Verbindung mehr besitzt zur Erzeugung des Lebens, in der also nicht bloß diese Verbindung durch moderne Mittel etwas gelockert wird, sondern in der sie zunehmend vollkommen verloren geht? In der die allermeisten Menschen sich durch materiellen Wohlstand definieren, und so tun als ob es mehr als dies nicht zu erreichen gäbe; als ob das höchste Ziel im Leben eines Menschen die Befriedigung seiner sinnlichen Triebhaftigkeit wäre? In der der Mensch zunehmend als vollständig durch seine Biochemie und Neurologie, durch DNA und elektrische Impulse, definiert angesehen wird – und mithin auf das Niveau von Tieren herabfällt (ein Wandel der fälschlich gern einer gestiegenen Achtung für Tiere zugeschrieben wird, was aber zumindest bei den zugrunde liegenden Philosophien dieser Bewegung in keiner Weise stimmt)? Was ist mit einer Gesellschaft, die sich zunehmend in die Hände einer globalisierten Politik-, Medien- und Wirtschaftselite begibt, und dies nicht als Freiheitsverlust empfindet, weil sie Angst vor der Freiheit hat, da diese Verantwortung verlangt – eine Verantwortung, die zunehmend zu einer Globalen stilisiert wird – mit der Folge der totalen Überforderung aller Menschen?

5. Funktion der Tradition

Diese reißenden Fluten des Wandels reißen fast jeden mit. Und niemand hat je darüber ernstlich nachgedacht, ob das, was man aufgibt, wirklich so unbedeutend oder schändlich ist, daß es keine Verteidigung und keinen Einsatz mehr verdient. Die Orientierungslosigkeit ist in der modernen Zeit fast mit Händen zu greifen. Der Mensch soll seine Vernunft gebrauchen, aufgeklärt und emanzipiert sein. Doch zurückgeworfen auf seine persönliche Vernunft stellt er fest, daß die Welt zu komplex ist, als daß er sie durchdringen könnte. Er sucht also nach Hilfe bei dieser Aufgabe. Tausende von Selbsthilfegruppen, Sekten und Kulten tun sich auf, die Enttäuschung und Verzweiflung des Menschen mit sich und der Welt wächst. Demagogen ergreifen die Chancen, die sich bieten und preisen einfache Patentlösungen für ungeheuer komplexe Probleme an, einfache Lösungen, die nur erfordern, daß der Mensch seine Freiheit an jemanden abgibt, an einen Macher am besten, oder einen selbsternannten Führer. Aber ist die Welt wirklich so viel komplexer geworden als früher? Sie ist komplexer geworden, aber ihre generellen Strukturen können nach wie vor verstanden werden, die Welt ist nicht zufällig und Wandel ist kein Naturgesetz. Er kann gestaltet werden – nicht so, wie diejenigen wollen, die nicht müde werden zu behaupten, sie wollten „die Globalisierung gestalten“, also nicht durch globale Institutionen, die globale Entscheidungen treffen – aber der Wandel kann gestaltet werden durch jeden Einzelnen, der in der Welt handelt. Denn der Wandel ist kein Naturgesetz sondern das aggregierte Resultat der Einzelhandlungen von Millionen von Individuen. Jedes dieser Individuen besitzt Willensfreiheit, ist also Autor der eigenen Handlungen. Also hängen Tempo und Richtung des Wandels niemals von unpersönlichen Mächten (wie dem „globalen Finanzkapital“) ab, und kann niemals von anderen unpersönlichen Mächten (wie der UNO, der WTO, der Weltbank usw.) gesteuert oder „gestaltet“ werden. Tempo und Richtung des Wandels hängen einzig und allein von den freien Entscheidungen der Individuen ab. Die Individuen können also durch bewußtes Handeln auf individueller Ebene den Wandel gestalten. Doch wenn ihnen die Welt undurchsichtig erscheint, sie orientierungslos macht, dann sind sie blind und handeln nicht, oder nicht in ihrem eigenen Sinne. Ihr Handeln verliert jegliches Ziel und kann leicht manipuliert werden. Dies ist, was in der modernen Gesellschaft geschehen ist.

Der Mensch ist abgetrennt von den traditionellen Quellen seiner Weisheit unfähig, nur auf sich gestellt, die Welt zu verstehen. Er hat gelernt, durch jahrelange Indoktrination, daß die Tradition schlecht ist, und die Vergangenheit nur als abschreckendes Beispiel dienen kann. Im Jahre 2008 war viel zu hören über den 70. Jahrestag der sogenannten „Reichskristallnacht“, aber nahezu nichts über den 160. Jahrestag der friedlichen Paulskirchenrevolution, oder den 90. Jahrestag der Gründung der Weimarer Republik. Diese tendenziöse, hoch selektive Geschichtsauffassung trägt ihren Teil dazu bei, daß die Vergangenheit als grauenhafter, rückständiger Moloch begriffen wird, aus dem man so schnell wie möglich entkommen muß. Alles ist besser als das, wird suggeriert. Und der Mensch mit begrenzten Fähigkeiten, Interessen und Zeitressourcen, ist gezwungen das meiste davon zu glauben. Aber ohne Tradition und die daraus erwachsende Handlungsanweisung ist der Mensch überfordert mit der Welt. Er wendet sich an die schon erwähnten Scharlatane.

6. Entfremdung des Menschen von seinen Traditionen

Unabhängig davon, ob die christliche Religion wahr ist oder nicht (was letztlich Glaubenssache ist, und durch die empirische Wissenschaft in keine Richtung entschieden werden kann), bietet sie doch einen Haltepunkt in dieser Welt, welcher (obwohl er natürlich mißbraucht werden kann und mißbraucht worden ist, wie alles in der Welt) zu vielen positiven Handlungen geführt hat. Der Katholizismus stellt eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten dar, einer Tradition zu folgen, die für viel Positives verantwortlich zeichnet, und viel zu bieten hat – ob man die religiösen und theologischen Auffassungen teilt oder nicht. Der Versuch, gegen den traditionellen Katholizismus Front zu machen, der im Moment in den Medien unternommen wird (und traurigerweise auch von einigen katholischen Würdenträgern Unterstützung findet), ist nur ein winziger Teil dieser langanhaltenden und gründlichen Entfremdung der Menschen von ihren Traditionen, und damit von der Weisheit, die dem Menschen, eben weil sie einige Grundfragen für ihn vorentscheidet, in allen Belangen des alltäglichen und politischen Lebens die Freiheit gibt, informierte, rational begründete Entscheidungen zu treffen.

Daß diejenigen, deren Ziel die Einrichtung eines zentral gelenkten Weltstaates ist, und diejenigen, welche eine Herrschaft einiger gigantischer transnationaler Konzerne antreben, die Abtrennung des Menschen von seinen Traditionen befördern und für notwendig erklären, ist nur allzu verständlich. Eben weil der Mensch von den Traditionen, den alten Zwängen und Regeln, dem oft beklagten „Moralkorsett“, den Sitten und Gebräuchen seiner Vorfahren „befreit“ wird, schwebt er als zielloses Atom durch die Welt; und kann deswegen so leicht den Scharlatanen ins Netz gehen, die nur die eigenen Macht- und Profitinteressen im Auge haben.

7. Konklusion: Weiter so, Benedikt!

Die Piusbruderschaft lehnt diese Entwicklung kategorisch ab, und hält deswegen sogar an Traditionen fest, wie der Messe auf Latein, die auf den ersten Blick nicht mehr unbedingt notwendig erscheinen, eben weil es auch keinen zwingenden Grund gibt, solche Traditionen abzuschaffen. Der Papst teilt dieses Prinzip, wenn auch wahrscheinlich nicht die konkrete Anwendung des Prinzips auf das II. Vatikanische Konzil. Auch für ihn ist die Tradition ein wichtiger und notwendiger Pfeiler, ohne den Freiheit immer in Hilflosigkeit und Überforderung enden muß. Auch Benedikt weiß, daß Freiheit wegen der Begrenztheit der menschlichen Natur als natürliches Korrelat immer die Tradition braucht, wenn sie nicht mißbraucht werden soll. Aufgrund dieser Ähnlichkeiten ist der Dialog zwischen dem Heiligen Stuhl (oder besser demjenigen, der darauf sitzt…) und der „ultrakonservativen“ Piusbruderschaft so wichtig.

Leider liefern einige Wirrköpfe wie Williamson der Medienkampagne gegen diesen Dialog immer neue Munition – auch dies ein Hinweis, wie beschränkt die menschliche Natur ist! – und lassen die Illusion entstehen, es handle sich nur um ein Aufbegehren gegen „Antisemitismus“. Dies ist bedauerlich und schädlich für das Ziel des Dialogs mit einer wichtigen Gruppe von „Dissidenten“ innerhalb der katholischen Kirche. Es wird sich aber nicht ändern lassen. Wenn jemand eine Kampagne haben will, dann wird er sie bekommen. Der Papst muß deutlich machen – und tut dies auch – daß er den Antisemitismus Williamsons nicht teilt. Aber er muß auch deutlich und klar daran festhalten, daß nur der Dialog mit den Traditionalisten die katholische Kirche bewahren kann als Institution der Reflexion über die Richtung des „Fortschritts“ in der modernen Zeit. Wie gesagt, solche Pfeiler braucht die Welt, und selbst nichtreligiöse Menschen werden am Ende von der Standhaftigkeit des Katholizismus profitieren, und zwar selbst dann, wenn Jesus nicht wieder auferstanden ist und Maria nicht Jungfrau war.

Tradition und Fortschritt – das werde ich nicht müde zu betonen – sind beide notwendig und müssen Hand in Hand gehen. Die Einbindung des Traditionalismus in alle Bereiche der Gesellschaft ist daher eine notwendige Bedingung für den Erhalt unserer Zivilisation. Dies gilt, und damit schließe ich, nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Politik, wenngleich diese natürlich eine höhere Kompromißbereitschaft zum Zeitgeist hin braucht, und erst recht für jeden Einzelnen. Tradition ohne Fortschritt läßt eine Gesellschaft versauern in ewig ausgetretenen Pfaden und führt zur totalen Stagnation; Fortschritt ohne Tradition erzeugt entwurzelte, atomisierte Individuen, die dem ersten Rattenfänger nachlaufen, der sich ihnen anbietet, da sie keine Orientierung und kein Verständnis von Richtig und Falsch besitzen. Derzeit rudern die Konservativen gegen den Strom, und sie verlieren an Boden. Im Papst haben sie einen wichtigen Freund, und da konservative und progressive Haltungen beide erforderlich sind für eine wahrhaft gute Gesellschaft, hat jeder, der am Fortbestand und der positiven Entwicklung unserer Gesellschaft interessiert ist, einen guten Freund im Papst. Und solche gute Freunde braucht die Welt derzeit – ob atheistisch, agnostisch, jüdisch, christlich, islamisch oder was auch immer – wahrhaft dringend. Gut, daß wir ihn haben. Schlecht, daß viele ihn diskreditieren wollen.

Das Steele-Desaster

Die Republikaner haben einen neuen Parteivorsitzenden gewählt, zumindest wenn man den deutschen Medien glauben möchte. Nun ist der „RNC Chair“ zwar formell der Parteivorsitzende, aber die Parteien sind in den USA wesentlich dezentraler organisiert als in Deutschland: das bedeutet der neue Vorsitzende wird nicht so viel zu sagen haben wie ein deutscher Parteichef, und nicht einmal soviel wie der Sonnenkönig.

Doch zwei Gründe bringen mich dazu, diese Wahl als signifikant zu betrachten: einerseits kann Michael Steele, so der Name des Neuen, wie der aufmerksame Leser bereits wissen wird, administrativ viel für die Partei tun (und das brauchen die Republikaner dringend, wenn sie die Demokraten nicht für immer regieren lassen wollen). Noch wichtiger ist aber der Symbolcharakter der Wahl Steeles. Die Republikaner befinden sich am Anfang der Nach-Bush-Ära. In dieser Zeit hat die Partei einen wesentlichen Teil ihrer konservativen Prinzipien fallen lassen. Als Beispiele nenne ich an dieser Stelle den außenpolitischen Interventionismus, diverse Medicare-Erweiterungen, No Child Left Behind (eine Art Zwangsvereinheitlichungsprogramm für Schulen) und den Patriot Act, aber auch in anderen Bereichen lassen sich viele Beispiele finden.

In den Vorwahlen zur letzten Präsidentschaftswahl standen sich entsprechend diejenigen gegenüber, die die Republikaner wieder auf ihren alten erfolgreichen Kurs bringen wollten (noch 2002 gab es in den USA laut Gallup mehr Republikaner als Demokraten, was heute nur noch in etwa 10 der 50 Staaten der Fall ist), und diejenigen, die den unter Bush eingeschlagenen Weg der Abwendung vom konservativen Gedankengut fortsetzen wollten. Beispiele für die erste Gruppe wären Giuliani, Romney und in gewissen Grenzen McCain. Zur anderen Gruppe gehörten Ron Paul und mit Einschränkungen auch Mike Huckabee.

Diese Spaltung in „konservative“ und „moderate“ Republikaner (letztere sind oft Neocons, die Unterstützung für ihre außenpolitische Agenda durch Kompromisse bei innenpolitischen FRagen erkaufen wollen, was die Sache nur noch schlimmer macht) kann nicht lange in dieser Form bestehen bleiben. Schon im Sommer 2008 deutete sich an, daß ein guter Teil der konservativen Basis nicht allzu enthusiastisch bezüglich der Kandidatur McCains war. Dieser hatte die Vorwahlen letztlich nur aufgrund der Stimmen unabhängiger Wähler gewinnen können, die gar keine Republikaner waren, aber wegen der eigenwilligen Vorwahlregelungen mancher Staaten dennoch zur Wahl zugelassen waren. McCain wählte danach Palin zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin, was diese beunruhigten Basisströmungen erst einmal beruhigte. Nachdem die Wahl verloren war, unter anderem auch weil viele Republikaner, die 2004 noch Bush gewählt hatten, diesmal daheim geblieben waren oder gar Obama gewählt hatten, brach die Debatte erneut los: Sollen die Republikaner eine konservative Partei sein, die das Recht auf Leben, die traditionelle Familie, die amerikanische Verfassung und die ihr zugrunde liegenden christlichen Grundwerte und Traditionen verteidigt wo sie bedroht sind und wiederherstellt, wo sie beschädigt wurden? Oder sollen die Republikaner eine moderne europäische „konservative“ Partei wie die Tories in Großbritannien oder die CDU in Deutschland werden, die für nichts steht, bis auf Einmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten, Gängelung der eigenen Bevölkerung durch paternalistische „Schutz“-Gesetze und Aufgabe lokaler Souveränität zugunsten des Zentralismus? Diese Kontroverse ist es, die in jeder Wahl und jeder Entscheidung der republikanischen Partei sich widerspiegelt. Darum ist die Wahl zum RNC Chairman wichtig gewesen.

Was also ist über den Sieger zu sagen? Zunächst einmal ist er von schwarzer Hautfarbe, was für einige Berichterstatter offenbar die Schlagzeile überhaupt war, für mich aber gar nicht von geringerer Relevanz sein könnte. Mich interessiert nicht im Geringsten, ob ein Politiker schwarz oder weiß ist, sondern nur ob er gut oder schlecht ist, also ob sein Charakter, seine Integrität, seine Grundüberzeugungen und seine inhaltlichen Positionen zu einigen wesentlichen Themen ihn zum Amt befähigen oder nicht. Ein weißer Mensch mit engen Kontakten in die linksextreme Szene, zu diversen Terroristen, dem Ku-Klux-Klan usw. wäre für mich genauso unhaltbar gewesen, wie ein asiatischer Befürworter von Abtreibung und Völkermord, oder eben wie Obama. Genauso (wenn auch in geringerem Maße) geht es mir auch mit Michael Steele.

Eindeutig und entschieden unterstützt er die bisherige amerikanische Haltung zur Außenpolitik (wie im übrigen in wesentlichen Punkten trotz einiger inhaltsleerer Gesten auch Obama). Ebenso klar ist seine Unterstützung einer Gruppe innerhalb der republikanischen Partei (die Gruppe heißt „Republican Leadership Council“), die sich für Abtreibung, gegen die traditionelle Familie und allgemein gegen konservative Werte ausspricht. Menschen wie Frau Whitman, die sogar die Teilgeburtsabtreibung im 9. Monat ohne Beschränkungen legalisieren will (diese ist seit 2003 in den USA nicht mehr legal, was ein Verdienst von Bush und den konservativen Republikanern ist), spielen die wesentlichen Rollen in dieser „republikanischen“ Gruppe. Diese RINOs („Republicans in Name Only“) sind Steeles Unterstützer und Befürworter.

Steele selbst hat sich 2006 dafür ausgesprochen, Roe vs. Wade nicht mehr zu bekämpfen. Roe vs. Wade ist eine Entscheidung des amerikanischen Supreme Courts von 1973, die im Wesentlichen folgendes festlegt: 1. Es gibt ein Grundrecht auf ungehinderte Abtreibung. 2. Dieses Recht gilt ohne jede Beschränkung für die ersten drei Monate der Schwangerschaft. Weder die Einzelstaaten noch der Kongress können auch nur die geringsten Beschränkungen dieses Rechts beschließen. 3. Ab dem 4. Monat der Schwangerschaft sind solche Beschränkungen zulässig, sofern sie Ausnahmen für die „Gesundheit“ der Mutter machen. 4. Die Definition von „Gesundheit“ ist der am selben Tag gefallenen Entscheidung Doe vs. Bolton zu entnehmen. 5. Die Definition von „Gesundheit“ in Doe beinhaltet sowohl physische als auch psychische Gesundheit, und ist strikt subjektiv. Wenn ein Arzt sagt, die psychische Gesundheit der Frau sei bedroht, dann darf abgetrieben werden. Derselbe Arzt kann dann an der Abtreibung verdienen, die entweder vom Steuerzahler finanziert werden muß, oder von der Frau selbst – was dem Arzt egal ist, die Abtreibungsklinik und er bekommen ihr Geld. In der Praxis bedeutet dies, daß Abtreibung immer dann legal ist, wenn der Arzt, der von ihr profitiert, die Schwangerschaft für gesundheitsgefährdend hält (also fast in jedem Fall). Dies hat dazu geführt, daß effektiv jede Abtreibung in den USA nahezu ohne Beschränkungen bis zum 9. Monat der Schwangerschaft legal ist. Dieses Regime, sagt Steele, lehne er ab. Aber trotzdem bekennt er sich nicht dazu, diese Entscheidung zu bekämpfen, sondern möchte sie beibehalten. Damit nimmt er die gleiche Position ein, wie alle führenden Demokraten: ich bin zwar gegen die Ermordung ungeborener Kinder, aber ich werde nichts dagegen tun, weil jede Mutter das Recht haben soll, über Leben und Tod ihrer Kinder zu entscheiden. Allein dies disqualifiziert Steele von jedem öffentlichen Amt und jedem Parteiposten.

Aber es hört hier ja nicht auf. Steele ist ein Gegner des Second Amendment, also des Rechtes aller Amerikaner auf Waffenbesitz (was er allerdings wie er es so gern tut in sorgfältig formulierten Phrasen versteckt; eine Seuche, die unehrliche Politiker oft genug plagt, weil sie ihre wahren Ansichten zu verbergen haben). Er sagte, er sei dafür, bestimmte Arten von Waffen zu verbieten, weil man sie zum Jagen nicht brauche; diese Waffen seien für den Jäger Overkill. Was Steele nicht versteht ist der Sinn des zweiten Verfassungszusatzes: Es geht nicht darum, daß alle Amerikaner jagen dürfen, sondern darum, daß sie frei sind. Der Zweck des Rechts auf Waffenbesitz ist die Chance, sich gegen eine tyrannische Regierung wehren zu können. Wer durch Beschränkungen des Waffenbesitzes dafür sorgen will, daß Amerikaner nur noch Jagdgewehre haben dürfen, der beraubt das Second Amendment allen Sinns. Da wäre es ehrlicher, es gleich ganz abzuschaffen, oder wie Obama zu ignorieren. Ein Politiker, der in einem Land lebt, in dem die Bürger das Recht haben, sich gegen invasive Bürokraten unter gewissen Umständen zu wehren, und auch die Mittel dazu haben könnten, muß eben aufpassen, welche Beschneidung der Freiheit er beschließt. Er kann das Volk nicht herumkommandieren und als Tanzbären behandelt. Er muß dem Volk Freiheit lassen. Und solche Freiheit muß nicht zwangsläufig zu höherer Gewalt führen. Ich weiß nicht, wer es gesagt hat, aber der Spruch stimmt: „If you outlaw guns, only outlaws will have guns“. Waffen töten keine Menschen. Menschen töten Menschen. Menschen haben die Willensfreiheit, die sie brauchen, um sich in einer gegebenen Situation für oder gegen den Gebrauch einer Schußwaffe zu entscheiden. Entscheiden sie sich für den Gebrauch einer Schußwaffe, dann gibt es ein charakterliches und moralisches Problem, kein Problem mit dem Waffenrecht. In einer Gesellschaft wie der Schweiz, in der jeder erwachsene männliche Bürger der Alpenfestung Waffenbesitzer ist/sein könnte, geschehen auch nicht mehr Verbrechen als in Ländern, in denen nur die Regierung über militärisches Potenzial verfügt. Steele lehnt hier also die Freiheit der Amerikaner ab, was ihn ebenfalls von jedem Amt und jedem Parteiposten disqualifiziert.

Leben und Freiheit sind zwei wesentliche Grundpfeiler – sogar die wichtigsten – einer jeden freien Republik. Bürger, die nicht leben, sind keine Bürger. Und Bürger ohne Freiheit sind Untertanen. Natürlich ist Steele besser als die Demokraten, die sich mit Obama gewissermaßen den Hohepriester der lebens- und freiheitsfeindlichen Kräfte in den USA zum Präsidenten gewählt haben. Aber nicht so gut, wie er sein könnte; nicht so gut, wie er sein sollte; nicht so gut, wie er sein müßte, um die Republikaner zu einer ernstzunehmenden Kraft im Kampf um die Ideenhoheit in den USA zu machen. Steele beschreibt sich selbst als „moderat“ und will die Gräben zwischen Liberalen und Konservativen, Demokraten und Republikanern heilen. Natürlich mag dies ein ehrenwertes Anliegen sein, und man sollte nicht mehr Spaltung befürworten als notwendig ist. Aber ein gewisses Maß an Spaltung ist notwendig, wenn die eine Hälfte des Landes im Wesentlichen etatistischen skandinavischen „Wohlfahrtssozialismus“ der schlimmsten Art mit einer fast schon körperlich spürbaren Verachtung gewachsener, funktionierender Strukturen und Traditionen verbinden will. Und die Überbrückung von Gräben ist ja schön und gut, aber die Demokraten sind nicht bereit, aller Rhetorik zum Trotz, in wesentlichen Fragen inhaltliche Zugeständnisse zu machen (und warum sollten sie ja auch, sie haben riesige Mehrheiten in allen Bereichen).

Steele ist ein sehr schlechtes Zeichen für jeden Konservativen. Wenn die Republikaner unbedingt glauben, sie müßten ein Zeichen setzen, daß sie nichts gegen Schwarze haben, dann hätten sie doch Ken Blackwell wählen können, welcher auch zur Verfügung stand, aber nur wenige Stimmen erhielt (aber nicht diese fast-Inkarnation von Angela Merkel!). Das Parteiestablishment hat sich eindeutig zum Schmusekurs eines McCain bekannt und damit erneut bekräftigt, daß die Republikaner nicht die Anlaufstelle für ernsthafte Konservative sein wollen, sondern für enttäuschte Großstadtdemokraten, welche eine Protestpartei brauchen, um Dampf gegen die permanente Demokratische Mehrheit abzulassen. Dies ist einer der Tage, an denen man sich wünscht, Republikaner zu sein, nur um dann austreten zu können.

Steele ist sicher ein sympathischer, eloquenter und auch rhetorisch begabter Mann. Sein Charakter scheint nach dem, was ich weiß, zumindest für einen Politiker recht ordentlich zu sein. Doch seine inhaltlichen Positionen und sein Unwille klar Stellung zu beziehen gegen die falsche und unvernünftige Politik der Demokraten und der Bush-Republikaner macht ein positives Fazit schwer. Natürlich wäre er (genauso wie McCain) immer noch das kleinere Übel gegenüber Obama oder Clinton oder den meisten Demokraten, die die Tötung unschuldiger Kinder (Abtreibung) und wehrloser alter Patienten („Sterbehilfe“) unterstützen, aber diese Politiker waren nicht seine Gegner bei dieser Wahl. Es gab Alternativen, wie immer. Blackwell, Dawson und andere. Aber die Republikaner haben sich für die Fortführung des neo-„konservativen“ Kurses entschieden, statt für eine authentisch konservative Richtung mit klaren Positionen und Werten.

So scheidet ein weiteres Stück Hoffnung für eine der letzten konservativen Parteien der westlichen Welt dahin.

Rechte und korrespondierende Pflichten

Einleitung: Menschenrechte

Vor etwas mehr als 60 Jahren wurde die UN-Menschenrechts- erklärung verabschiedet. Bis heute werden im Namen von Rechten harte innergesellschaftliche Verteilungskämpfe geführt – wie kürzlich bei der Auseinandersetzung um Studiengebühren, oder auch bei Hartz IV. Manche Regierungen führen sogar Menschenrechte ins Feld, wenn Kriege gerechtfertigt werden sollen, wie die Schröder-Regierung mit ihrem Argument, die Rechte der afghanischen Frauen etablieren zu wollen durch militärische Intervention in Kabulistan. Rechte haben zu mehr Blußvergießen geführt, als alles andere auf Erden, einschließlich des menschlichen Gewinnstrebens. Denn während derjenige, der nach Gewinn strebt immer noch die Menschen am Leben lassen muß, die er zum Gewinnstreben braucht, so kann der Kreuzfahrer für die Rechte irgendeiner Gruppe eine Politik der verbrannten Erde vertreten, wenn nur am Ende nominell die Rechte, für die er zu Felde gezogen ist, anerkannt werden. Was ist also mit diesem Konzept, den Rechten der Menschen, daß es so brisant ist? In den folgenden Zeilen werde ich versuchen, einige wesentliche Konzepte bezüglich des Begriffs „Recht“ darzustellen und ferner einige politische Konsequenzen daraus zu ziehen versuchen.

1. Ein Strauß Rechte

Rechte scheint es in allen Formen und Farben zu geben. Alle Menschen, so versichert uns ein Chor aus nationalen und internationalen Deklarationen und Festreden, hätten alle möglichen Rechte: auf Leben, Bildung, Freiheit, Selbstverwirklichung, Eheschließung, Kinderbetreuung, Eigentum, Respekt, Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und viele, viele mehr. In diesem juristischen Dschungel kann sich der Normalbürger nicht mehr orientieren und weiß nicht mehr was ihm überhaupt zusteht. Daß dies ein weiterer Schritt – in den Worten eines arg verkanteten Kant – zur Entmündigung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Freiheit ist, erscheint dem libertären und dem konservativen Leser vermutlich offensichtlich.

Doch gibt es im bunten Wald der Rechte auch noch mehr zu entdecken, als auf den ersten Blick sichtbar scheint. Es lassen sich nämlich zwei Arten von Rechten unterscheiden, von denen die einen die Grundlage des freiheitlichen Rechtsstaats und die anderen notwendig sein Untergang sind. Um dies zu verstehen, muß man sich allerdings darüber klar werden, daß es kein Recht ohne Pflicht gibt. Das Recht auf Leben bringt die Pflicht mit sich, keinem Menschen sein Leben zu nehmen. Das Recht auf Freiheit verpflichtet seinen Träger, anderen Menschen nicht der Freiheit zu berauben und das Wahlrecht verpflichtet ihn, nicht dasselbe Recht anderer Menschen zu verletzen – also niemanden am Wählen zu hindern, der es will.

Jedes Recht muß also zunächst immer vereinbar sein mit dem gleichen Recht aller anderen Menschen, die Mitglied der Rechtsgemeinschaft sind. Das bedeutet natürlich, daß aus dem Recht eines Bürgers auf irgendetwas die Pflicht aller anderen Bürger erwächst, dieses etwas zu beachten.

Auf der Basis dieser Erkenntnis werden wir nun untersuchen, welche Arten von Rechten es gibt. Als Kriterium dient dafür die Art der Pflicht, welche durch dieses Recht allen anderen Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft aufgebürdet wird. Es gibt einerseits negative Rechte und andererseits positive Rechte (dies ist nicht zu verwechseln mit der Konzeption des „positiven Rechts“, welche auf eine Kodifizierung des Rechts herausläuft, also daß Verbote geschrieben sein müssen, um gültig zu sein usw. Darum geht es hier aber in keiner Weise). Worin unterscheiden sich also diese positiven und negativen Rechte?

2. Negative und positive Rechte

Negative Rechte geben einem Menschen das Recht, etwas zu behalten, über das er schon verfügt. Das Recht auf Leben ist ein solches Recht: jeder Mensch in einer Rechtsgemeinschaft lebt notwendig – täte er dies nicht, so wäre er kein Mitglied der Rechtsgemeinschaft. Das Recht auf Leben besagt, daß er dieses Lebens nicht beraubt werden darf. Aus dem Recht auf Leben ergibt sich also die korrespondierende Pflicht aller anderen Bürger, diesen Menschen, der das Recht besitzt, nicht zu töten. Daraus, daß nun alle Bürger der Rechtsgemeinschaft dieses Recht haben, folgt wiederum, daß alle Bürger die Pflicht haben, keinen Bürger zu töten – das bekannte allgemeine Tötungsverbot. Ein weiteres „negatives“ Recht ist dasjenige auf Eigentum. Jemand, der bereits über Eigentum verfügt, hat ein Recht darauf, es nicht gegen seinen Willen zu verlieren – also durch einen anderen Menschen bestohlen zu werden, oder durch kollektive Entscheidung im Staatsverband enteignet zu werden. Aus dem Recht auf EIgentum folgt offenbar kein Rechtsanspruch auf Eigentum, sondern bloß die Pflicht aller Bürger (und des aus seinen Bürgern bestehenden Staates), niemandem sein EIgentum wegzunehmen.

Negative Rechte sind also insofern negativ, als sie eine Verneinung beinhalten: sie verbieten die Wegnahme von etwas, über das der Inhaber des Rechts bereits verfügen muß, um das Recht nutzen zu können. Sie sind auch in dem Sinne negativ, daß aus ihnen bloß eine negative Pflicht erwächst. Die anderen Bürger einer Rechtsgemeinschaft müssen nur die Wegnahme des geschützten Gutes unterlassen, und nicht mehr. In allen anderen Belangen sind sie frei. Sind alle Bürger Inhaber negativer Rechte, so genießen alle Bürger Bestandsschutz bezüglich der geschützten Rechtsgüter, sofern sie denn über sie verfügen, und haben zugleich die Pflicht, diese Rechtsgüter auch bei anderen Bürgern, die über sie verfügen, zu respektieren. Diese Form von Rechten ist vereinbar mit der liberalen Konzeption von gleichen Rechten für alle, da jeder Bürger über sie verfügen kann, ohne daß es zu Konflikten über die Rechte kommen muß.

Im Gegensatz zu den negativen Rechten sind positive Rechte völlig anders strukturiert. Sie geben dem Inhaber ein Recht auf etwas, über das er womöglich noch gar nicht verfügt. Beispielsweise fordern die Anhänger des „Rechts auf Bildung“ den kostenlosen Bildungszugang für alle Bürger. Ohne Regelungen, die einen solchen Bildungszugang ermöglichen, wird eine Bildungsstätte sich zu einem großen Teil durch die Schulgelder oder Studiengebühren der Schüler/Studenten finanzieren müssen. Das Gut, das Gegenstand eines positiven Rechts ist, befindet sich also noch gar nicht bei dem Inhaber des Rechts, sondern soll diesem erst verschafft werden. Es ist also sinnvoll, bei positiven Rechten von „Rechtsansprüchen“ zu sprechen, da nicht ein Bestand geschützt, sondern ein Anspruch eingefordert wird.

Es ist unmöglich, das Recht auf Bildung als negatives Recht zu denken: es wäre dann nicht mehr als das Recht aller Menschen, die Bildung, über die sie verfügen, zu behalten. Die Vorstellung der Notwendigkeit eines solchen Rechts ist offenbar absurd. Ähnlich verhält es sich auch mit fast allen Rechten, die heute so hochgeschätzt sind, daß unablässig Konferenzen abgehaltenund internationale Abkommen geschlossen werden, um diese „Rechte“ zu affirmieren oder treffender formuliert neu zu erfinden.

Denn was sind die Folgen solcher positiver Rechte oder Rechtsansprüche? Wir erinnern uns: jedes Recht eines Bürgers verpflichtet alle anderen Bürger zur Beachtung dieses Rechts (also auch und gerade den Staat). Während negative Rechte nur zur Unterlassung bestimmter Handlungen (Mord, Diebstahl, Freiheitsberaubung usw.) verpflichten, reichen die Pflichten zur Erfüllung von Rechtsansprüchen erheblich weiter. Offensichtlich kommt der Gesellschaft als ganzer die Pflicht der Erfüllung solcher positiven Rechte zu, denn der Einzelne ist mit dieser Aufgabe völlig überfordert. Kein Individuum könnte kostenlosen Bildungszugang (um beim obigen Beispiel zu bleiben) für alle Bürger sicherstellen, was es aber tun müßte, wenn es nicht den Staat gäbe, der die Erfüllung dieser Rechtsansprüche übernähme.

Die korrespondierende Pflicht eines positiven Rechts ist also eine aktive Handlung: die Sicherstellung kostenloser Bildung für alle durch massive finanzielle Unterstützung entweder von Bildungsinstitutionen oder der Sich-Bildenden selbst. Die Folge positiver Rechte ist also notwendig eine massive Staatsintervention, um solche Rechte sicherzustellen. Man kann dies im staatlichen Bildungswesen beobachten, aber auch in der Krankenversicherung (Recht auf Krankenversicherung oder gar Recht auf Gesundheit), der Rentenversicherung („Recht auf einen menschenwürdigen Lebensabend“), oder neueren Bestrebungen wie dem „Recht auf Kinderbetreuung“ sehen, welches nichts anderes ist, als die Pflicht des Staates auf Kosten der Steuerzahler ein universelles Kinderbetreuungsprogramm einzurichten oder zu fördern, um auch der letzten Mutter den sofortigen Wiedereinstieg ins Berufsleben zu „ermöglichen“.

Allgemein ist festzustellen, daß es bei positiven Rechten immer darum geht, etwas zu „ermöglichen“, Bildung, Krankenversicherung, Kinderbetreuung und vieles mehr. Da einige Menschen bereits über die Möglichkeit verfügen, das zu ermöglichende Verhalten oder Gut zu erlangen, handelt es sich prinzipiell um eine Neuverteilung gesellschaftlicher Chancen – in der Regel zwecks Erreichung höherer Chancengleichheit. Diese ist, wie ich bereits in meinem Artikel über Gleichheit gezeigt habe, unvereinbar mit Freiheit und Rechtsstaat. Daß sie dies ist, erscheint offensichtlich aufgrund der unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen, deren Egalisierung nur mit Gewalt oder durch Enteignung möglich ist. Für eine genauere Ausführung dieser Argumentation verweise ich auf meinen Artikel „Gefährliche Floskeln: Gleichheit„.

3. Verhältnis von negativen und positiven Rechten

Wenn nun aber solche positiven Rechte notwendig die Freiheit beschränken, so geraten sie damit in Konflikt mit den negativen Rechten, die ja ganz wesentlich das Freiheitsrecht umfassen. Positive Rechte können mit negativen Rechten nicht konfliktfrei koexistieren. Es bieten sich also nun prinzipiell drei Alternativen, mit diesem Konflikt umzugehen. Alle drei Alternativen sind vertreten worden, auch wenn derzeit recht eindeutig eine der drei Richtungen eine dominante Position in der Debatte einnimmt.

Erstens kann man sich ganz auf die Seite der negativen Rechte stellen und die individuelle Freiheit zum letzten Kriterium für die Validität eines Rechts machen. Damit entfallen alle Rechtfertigungen für Rechtsansprüche irgendeiner Art, da diese immer einen Anspruch auf ein Gut beinhalten, über das man noch nicht verfügt, und das entweder jemand anderem genommen werden muß, oder mit dem Geld eines anderen bezahlt werden muß. Diese Auffassung, daß individuelle Freiheit über alles geht, und alle anderen Erwägungen diesem Prinzip weichen müssen, ist eine ehrenwerte Auffassung, die in besseren Zeiten unter dem Begriff „Liberalismus“ bekannt war. Was allerdings heutzutage unter Liberalismus firmiert ist kaum mehr ein schwaches Abbild dieser gelegentlich fehlerhaften, immer aber grundsätzlich positiven Idee. Deshalb werde ich diese Auffassung im Folgenden als „libertäre“ Auffassung bezeichnen, damit kein Mißverständnis etstehen kann – die heutige FDP steht nicht mehr auf dem Boden dieses Prinzips, wird aber immer noch als „liberal“ bezeichnet. In den USA ist „liberalism“ längst zu einer völlig anderen Bedeutung gelangt, dort hat sich der Begriff „libertarianism“ schon lange eingebürgert für diese Grundauffassung.

Die zweite Option ist die Parteinahme für die positiven Rechte, also das Recht aller Bürger auf bestimmte materielle oder immaterielle Güter, das notfalls durch Verstaatlichungen, Enteignungen und Zwangsgewalt anderer Art erfüllt werden muß. Folgt man dieser Idee, so wird individuelle Freiheit, das Recht auf Leben und das Eigentumsrecht nur noch insofern beachtet, als es nicht mit einem postulierten Rechtanspruch auf irgendetwas in Konflikt gerät. Die Anhänger dieser Rechtsauffassung befürworten notwendigerweise eine massive Ausdehnung staatlicher Macht, da nur diese in der Lage ist, die notwendigen erzwungenen Umverteilungsmaßnahmen durchzuführen. Nur der Staat kann ein Recht auf kostenlosen Zugang zu Bildungsstätten garantieren, da private Bildungsanbieter immer auf das Mittel der Gebühren zur Finanzierung zurückgreifen müssen. Der Staat kann Steuern einführen, die die Finanzierung dieses und ähnlicher Projekte ermöglicht. Aufgrund dieser stark kollektivistischen Ausrichtung und der meist nur impliziten (aber nichtsdestoweniger spürbaren) Ablehnung individueller Freiheit werde ich die Anhänger dieser Auffassung als „Kollektivisten“ bezeichnen. Dazu gehören in der heutigen politischen Landschaft allerdings nicht nur historische Materialisten des harten Kerns, sondern in abgeschwächter Form auch die gesamt SPD, die Grünen, weite Teile der CDU und zunehmend auch Teile der FDP. Man denke nur an die Debatte um das Rauchverbot, als alle diese Parteien mehr oder weniger offen für das positive Recht auf Gesundheit eintraten, durch das alle Bürger durch den Staat dazu gezwungen werden müssen, nicht in der Öffentlichkeit (derzeit in Gaststätten, aber die Ausweitung des Prinzips ist im Gesetz bereits angelegt und nur eine Frage der Zeit) zu rauchen. Die Grundidee der Einschränkung individueller Freiheit ist wesentlicher Bestandteil aller heute dominierenden politischen Ideologien, sowohl auf nationalstaatlicher als auch auf internationaler Ebene.

Beide bisher benannten Optionen optieren für eine Extremposition, indem sie eine der beiden Rechtsformen über die andere erheben, und den Konflikt zwischen positiven und negativen Rechten auf diese Weise aufheben wollen. Die dritte Option ist damit auch offensichtlich: sie akzeptiert den Gegensatz und versucht auf der Basis von Grundprinzipien und einer in gewissem Umfang flexiblen Fall-zu-Fall-Anwendung derselben einen Ausgleich zwischen individueller Freiheit und kollektiver (oder sozialer) Verantwortung zu finden. Diese Position kann allerdings gefährlich sein, wenn sie übersieht (was heute allzuoft geschieht), daß in erster Linie die soziale Verantwortung eine individuelle Verantwortung ist: als Menschen haben wir gegenüber anderen Menschen die Verantwortung, ihnen zu helfen, wenn sie in Not sind. Worin diese Verantwortung besteht ist abhängig von der Beziehung der beiden Menschen: Man schuldet einem Familienangehörigen offensichtlich mehr an Hilfe als einem Fremden. Erst wo diese individuelle Verantwortung nicht mehr greift, wo also Familienhilfe, Nachbarschaftshilfe, die Gemeinde und viele andere lokale Vermittlungsinstanzen zwischen Staat und Einzelnem nicht meht greifen, keine soziale Absicherung mehr bieten, ist der Staat berechtigt, durch positive Rechte (also Rechtsansprüche) in die individuelle Freiheit einzugreifen. Auf die Formel der Christlichen Soziallehre gebracht hat der Staat das Prinzip der Subsidiarität zu beachten, da er erst dann helfen darf, wenn die informellen Sicherungssysteme nicht mehr greifen.

4. Respekt vor vermittelnden Instanzen als Grenzziehung

Unbeantwortet ist damit die Frage nach der Reichweite solcher subsidiarischer Absicherungen. Diese ist unter den Anhängern dieser dritten Idee ebenfalls sehr strittig. Kontinentaleuropäische Konservative sind in der Regel bereit, dem Staat einen größeren Spielraum zu gewährleisten, wohingegen amerikanische Konservative wesentlich skeptischer gegenüber dem Staat sind und sich teilweise der libertären Position annähern. Im Rahmen dieses Artikels kann auf diese feinen Unterschiede nicht näher eingegangen werden. Zumindest unter den gemäßigten Vertretern der konservativen Richtung dürfte es aber Konsens sein, daß es eine ausreichende Absicherung auf dem Niveau des Existenzminimums geben soll, nicht mehr und nicht weniger. Die Debatte ist damit aber noch nicht entschieden, weil sich dann fragt, was man denn in der modernen Gesellschaft mindestens zum Existieren braucht. Dabei kann es sich um das physische Existenzminimum handeln (durch das nur sichergestellt ist, daß niemand verhungern, verdursten oder Mangelerscheinungen leiden muß), aber auch um das „soziokulturelle“ Existenzminimum (welches zusätzlich eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen soll).

Klar ist aber, daß ein Eingriff des Staates mittels Rechtsansprüche nur bei einer bestimmten Form von positiven Rechten zulässig sein darf. Nicht jede empfundene Ungerechtigkeit rechtfertigt die Beschränkung individueller Freiheit. Aus konservativer Sicht muß diese Beschränkung aber ihre Grenze finden, wenn es nicht mehr um finanzielle Transfers, sondern um Sachleistungen geht. Während es in Ordnung ist, begabten Kindern aus finanziell schwachen Schichten ein Stipendium für eine Eliteschule zur Verfügung zu stellen, überschreitet es die legitimen Kompetenzen des Staates, das Bildungssystem umfassend zu vereinheitlichen und zu normieren, da damit die individuelle Freiheit unzumutbar eingeschränkt wird durch Verbot oder Verdrängung alternativer Bildungsformen (Privatschulen, kirchliche Schulen, Homeschooling uvm.) Es wäre aus meiner Sicht sogar gerechtfertigt, allen Eltern für jedes ihrer Kinder einen Bildungsgutschein auszustellen, so daß finanziell schwache Eltern ihren Kindern eine solide Bildung bieten können – denn auch hier handelt es sich um finanzielle Transfers, die nicht die Freiheit der anderen Bürger beschränken, sondern bloß Beteiligung am Bildungsprozeß ermöglichen, wo sie vorher verstellt war durch finanziellen Mangel.

Wo genau die Grenzen verlaufen ist im Einzelfall zu klären, auch und gerade unter Konservativen in heftigem, aber zivilisiertem Streit. Die Auffassung, daß die materielle oder immaterielle Angleichung der Lebensbedingungen die Beschränkung individueller Freiheit immer oder auch nur in den meisten Fällen zu rechtfertigen in der Lage wäre, ist aber in jedem Falle zu verwerfen. Daß Menschen immer über die negativen Rechte Leben, Freiheit und Eigentum verfügen, steht für mich außer Frage. Daß unter gewissen Umständen im Namen der Solidarität unter Beachtung der Subsidiarität vorsichtige staatliche Maßnahmen zum Schutze der Menschenwürde erforderlich sein werden ergibt sich aus der fehlbaren Natur der informellen Institutionen, die der Mensch zu seinem Schutz vor den Wechselfällen des Lebens um sich errichtet. Ebenso offensichtlich ist aber auch, daß solche Institutionen wie die Familie oder auch die Nachbarschaftshilfe erodieren werden, wenn ein Staat die Verantwortung von den Schultern der Individuen und seiner es umgebenden Institutionen nimmt und einer anonymen und abstrakten Bürokratie übergibt. Inzwischen ist es nicht nur offensichtlich, sondern eine gut belegte Erfahrungstatsache: Familie, Nachbarschaftshilfe, Gemeindesolidarität usw. erodieren unter ausgedehnten Wohlfahrtsstaaten ebenso wie in reinen Ellenbogengesellschaften.

Denn Rechte gibt es zwar in allen Formen und Farben. Doch die meisten dieser Farben beißen sich mit dem Rechtsstaat und der freien Republik, und zerstören auf Dauer das Fundament, auf dem alle freien Republiken ruhen – die vermittelnden Instanzen zwischen Individuum und Staat.

Gefährliche Floskeln: Gleichheit II

Interludium: Zweiter Teil

Ich habe vor einigen Tagen den ersten Teils eines Essays über Gleichheit an dieser stelle veröffentlicht. Hier sei noch einmal der Link zu Teil 1.

Ich hatte im ersten Teil die verschiedenen Dimensionen der Gleichheit benannt und dann Ergebnisgleichheit und Chancengleichheit als unvereinbar mit dem Prinzip der Freiheit verworfen.
Es bleiben also für diesen zweiten Teil noch die Begriffe rechtliche Gleichheit und moralische Gleichheit übrig. Für diese beiden Begriffe bietet sich eine etwas andere Vorgehensweise als bisher an.

5. Juristische Gleichheit

Anders als alle bisherigen Formen der Gleichheit gibt sich die juristische Gleichheit bescheiden. Sie verzichtet darauf, die Ergebnisse direkt oder auch nur – wie bei der Chancengleichheit – proportional nach gewissen Gruppenzugehörigkeiten bestimmen zu wollen. Juristische Gleichheit ist im Wesentlichen Verfahrensgleichheit: Jeder Mensch hat das Recht, nach den gleichen juristischen Grundsätzen und den gleichen Gesetzen beurteilt zu werden. Offenbar hat auch diese Form der Gleichheit Schwächen, wenn auch wesentlich weniger katastrophale Schwächen als die beiden bisher untersuchten Formen.

Um die Schwächen festzustellen, untersuchen wir ein Beispiel: Ein Mensch verliert seinen Arbeitsplatz. Der Staat, in dem er lebt, hat ein System sozialer Absicherung geschaffen, die in solchen Notfällen einspringen kann. Die FRage ist nun: soll der Staat zahlen, und wenn ja, soll er dies immer tun? Zunächst, in ihrer Reinform, muß die juristische Gleichheit jeden Menschen gleich behandeln. Wenn also ein Mensch arbeitslos wird, denn muß ein der rechtlichen Gleichheit verschriebenes System, diesem Menschen auch die Leistung zukommen lassen. Was ist aber nun, wenn dieser Mensch nebenbei noch Millionär ist? Soll der Staat dann auch die Unterstützung zahlen, oder wäre dies ungerecht, da der Mensch dieser Unterstützung doch gar nicht bedarf? Wenn ein Arbeitsloser den Anspruch hat, Arbeitslosengeld zu erhalten, dann muß unter einem Regime juristischer Gleichheit offenbar jeder Arbeitslose einen Rechtsanspruch haben.

Nun könnte man diesen Rechtsanspruch so ausgestalten, daß die Sozialleistung verrechnet wird in irgendeiner Form mit dem existierenden Vermögen der betreffenden Person, so daß wieder alle Menschen gleich behandelt würden unter dem existierenden Recht. Doch reicht dies wirklich aus? Man stelle sich weiterhin vor, zwei Menschen würden arbeitslos, und beide hätten keinerlei finanzielle Absicherung in der Hinterhand um sich zu schützen. Doch der eine ist verheiratet und hat vier minderjährige Kinder, und der andere ist ledig. Sollen beide gleich behandelt werden? Und was ist, wenn eines der Kinder erwachsen ist und arbeitet: sollte es herangezogen werden zur Unterstützung im Rahmen des Subsidiaritätsprinzip der Christlichen Soziallehre?

Offensichtlich verhält es sich mit der rechtlichen Gleichheit nicht so einfach, wie man auf den ersten Blick denken könnte. Denn die Lebensumstände des Menschen, der auf Hilfe angewiesen ist, können sich dramatisch von anderen Hilfsbedürftigen unterscheiden. Ferner beschränken sich die relevanten Unterschiede nicht auf die bloßen Lebensumstände, sondern natürlich auch auf die MEnschen selbst. Denn auch wenn man geneigt ist aus Gründen der Menschenwürde, auch den nicht arbeitswilligen Menschen zu helfen, muß man sich zumindest die FRage stellen, ob man hier nicht doch wieder ungleiches gleich behandelt. Diese komplexe Frage kann und braucht an dieser Stelle natürlich nicht abschließend geklärt werden, aber auch an ihr zeigt sich wiederum, daß juristische Gleichheit niemals abschließend alle Menschen gerecht behandeln kann, weil ein staatliches System der juristischen Gleichheit entweder jedes Detail des menschlichen Lebens erfassen müßte, um beurteilen zu können, ob die rechtliche Situatuion wirklich gleich ist (dies führte zu einer intolerablen Beschränkung der Freiheit und einer unmöglichen Bürokratie, die wesentlich größer wäre als selbst die heutige Sozialbürokratie, da wesentlich mehr Faktoren zu kontrollieren wären), oder die Situation für irrelevant erklären muß. Dies führte allerdings zu einem enormen Gerechtigkeitsdefizit, da offenbar nicht jeder das gleiche Recht auf etwas hat, was der eine dringend braucht, der andere aber eigentlich nicht braucht.

Die dritte Möglichkeit, die beiden Problemen ausweichen kann, besteht in der Aufgabe der Verteilungsgerechtigkeit als Gerechtigkeitsvorstellung (solche Vorstellungen sind nicht Teil des vorliegenden Essays und werden daher als bekannt vorausgesetzt). In einem System der rechtlichen Gleichheit kann sich die Verteilungsgerechtigkeit natürlich nicht an dem Ergebnis oder den proportionalen Chancen von Gruppen oder Individuen auf bestimmte Ergebnisse bemessen, sondern nur an der Verteilung gleicher Ressourcen an gleich bedürftige Individuen gemäß dem Grundsatz „Jedem das Seine“. Eine solche Verteilung übersteigt aber, wie im vorherigen Abschnitt gesehen, notwendig die Kapazität eines freien Staates, da die benötigten Informationen für die gerechte Verteilung von Ressourcen nicht vorliegen können, ohne massive Eingriffe in die individuelle Freiheit. Auf die positive Verteilung von Ressourcen muß daher im Rahmen der juristischen Gleichheit verzichtet werden.

Offensichtlich bleibt damit bloß noch eine rechtliche Gleichheit im Sinne gemeinsamer Grundrechte im Sinne negativer Freiheiten (Freiheit von Eingriffen des Staates, Freiheit von Zwang und Zensur durch den Staat…) übrig. Solche Freiheiten werden erst notwendig durch die Existenz eines Staates, da ohne einen Staat kein Mensch vor Eingriffen des Staates oder Zwang und Zensur durch denselben geschützt werden muß. Dies bedeutet, daß diese Grundrechte als negative Freiheiten erst durch den Staat relevant werden, der sie schützen soll. Es handelt sich also tatsächlich um nichts anderes als Rechte zum Schutz vor dem Staat. Solche Rechte sind enorm wichtig, aber sie sind zugleich auch der einzige Anwendungsbereich der juristischen Gleichheit, wenn diese nicht die Freiheit der Individuen durch staatliche Zwangsgewalt beschränken soll.

Es bleibt also festzuhelten, daß die distributive rechtliche Gleichheit daran scheitert, daß der Staat zu sehr in die Freiheit eingreifen muß, um sie durchzuführen. Sie kann daher nur in ganz geringem Umfang gerechtfertigt werden, wenn ein anderer wichtiger Grundsatz dies erfordern sollte. Ein solcher Grundsatz könnte etwa die Menschenwürde sein, die eine Grundansicherung aller Menschen erfordern könnte. Die Beantwortung solcher Fragen übersteigt aber die Erkenntnisabsicht dieses Artikels und bleibt daher außen vor. Es ist aber wesentlich, daß eine solche Interpretation der rechtlichen Gleichheit einen massiven Einschnitt in die Freiheit darstellt, welcher zwar geringer ist als die notwendig totalitäre Regierungspraxis eines Regimes der Ergebnis- oder Chancengleichheit, da sie den Menschen nicht umerziehen muß, aber dennoch beträchtlich genug ist, daß ihre Anwendung zweifelhaft in einer freien Gesellschaft bleibt.

Nicht-distributive juristische Gleichheit, also Gleichheit vor dem Gesetz, sofern aus ihm keine Ansprüche gegen den Staat oder seine Bürger erwachsen, als ein bloßes Heraushalten aus den persönlichen Angelegenheiten der Staatsbürger sofern diese durch ihre Handlungen anderen Bürgern nicht direkt schaden, ist hingegen relativ unbedenklich. Angesprochen werden sollte in diesem ZUsammenhang noch die Schwierigkeit, zu definieren, was denn nun ein Schaden eines anderen Bürgers ist: zählen nur direkte körperliche Schäden wie Mord oder Körperverletzung? Oder auch Schäden am Besitz wie z.B. Diebstahl? Was ist mit psychischer „Gewalt“ wie Stalking, Psychoterror usw. Was ist mit Fällen, in denen ein Schaden indirekt durch Gesundheitsgefährdung eintritt, wie bei der Debatte um das Passivrauchen? WAs ist, wenn dieser Schaden für die Allgemeinheit bloß finanziell ist, wie bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr in Zeiten von AIDS? Und was ist in diesem AIDS-Fall mit dem eventuell nichts ahnenden Partner, welcher unwissentlich infiziert werden könnte? Ist so etwas Staatsaufgabe im Rahmen der rechtlichen Gleichheit? Dabei handelt es sich um zum Teil sehr schwierige Fragen, die keine abschließende Antwort kennen. Sie stellen jedoch Probleme bei der Abgrenzung selbst einer rein rechtlichen Gleichheit der Menschen dar. Insgesamt erscheinen solche Probleme aber lösbar, wenn sie auch schwierige Kompromisse zwischen einer Vielzahl von Werten, Prinzipien und – was heute gern vergessen wird in solchen Debatten – Menschen bedeuten dürften.

6. Gleichwertigkeit

Bietet nun also die Ergebnisgleichheit nur nackten Totalitarismus, die Chancengleichheit kaum mehr als dies – wenn auch in einem schöneren Gewand – so kann die rechtliche Gleichheit zumindest eine Versicherung gegen elementare Verbrechen, die durch den Staat an Menschen begangen werden, darstellen (solange der Staat sich daran hält, was noch ein weiteres praktisches Problem darstellt, dessen Lösung nicht leicht fällt). Sie kann jedoch nicht mehr als das. Sie kann keinerlei normative Sicherung für den Menschen darstellen, keine Würde etablieren, da sie rein prozessual-mechanistisch allen Menschen bestimmte Schutzrechte gegenüber Staatseingriffen zuschreibt. Dies ist zwar wichtig, erscheint als alleinige Basis für eine humane Gesellschaft nicht hinreichend.

Das Problem aller bisherigen Gleichheitsvorstellungen war, daß sie damit zu kämpfen hatten, daß in der REalität die Menschen einfach nicht gleich sind. Die Unterschiede zwischen den Menschen befinden sich in allen Eigenschaften des Menschen, und diese Unterschiede sind real. Männer sind signifikant anders als Frauen – und dies schon biologisch. Dasselbe oder Ähnliches gilt für Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, Intelligenz, Kreativität und verschiedener Begabung. Auch definitiv nicht in der Biologie verankerte Unterschiede zwischen Menschen, wie Armut und Reichtum diskriminieren die Menschen (verstanden hier im wertneutralen Sinne von „unterscheiden“) radikal. Die Aufgabe, zwei Menschen, selbst eineiige Zwillinge, vorzuweisen, die sich identisch verhalten, ist wohl unlösbar. Und je geringer die verwandtschaftliche Beziehung zwischen einem Menschenpaar, umso größer werden auch die Unterschiede. Offensichtlich muß diese Tatsache der natürlichen Ungleichheit aller Menschen für jede materielle Gleichheitstheorie ein großes Problem darstellen, da sie die Menschen artifiziell „gleichmachen“ muß. Dies erfordert je nach Konzeption geringe oder gigantische Eingriffe in die menschliche Freiheit. Kommt die begrenzt distributive rechtliche Gleichheit mit relativ wenigen Beschränkungen aus, so muß Chancen- oder Ergebnisgleichheit immer entweder illusorische Gedankenspielerei bleiben, oder in menschenverachtendem Totalitarismus enden (meistens geschieht beides).

Ohne solche Eingriffe kommt nur die sterile juristische Gleichheit des Verfahrens aus. Doch nach ihrem Kriterium wäre ein antisemitisches Gericht völlig in Ordnung, weil es ja immer antisemitisch wäre, das Verfahren also gleich wäre. Nur die Chancen und das Ergebnis unterschieden sich je nach der Religion des Angeklagten. Hier gehört auch das alte Wort vom Bettler und dem Millionär herein, denen es beiden gleichermaßen verboten sei, unter der Brücke zu schlafen. Offenbar weist diese kalte, unmenschliche Form der Gleichheit ein Gerechtigkeitsdefizit auf. Alle anderen Formen von Gleichheit, welche auf materiellen Ansätzen beruhen, sind aber fatal für die Freiheit wegen der natürlichen Ungleichheit aller Menschen.

Das Konzept der Gleichwertigkeit löst dieses Problem, oder lindert es zumindest. Denn es akzeptiert, ja affirmiert, die natürlichen Unterschiede der Menschen ohne jedes Problem. Doch folgt hier aus der Ungleichheit nicht eine repressive Form der Ungleichbehandlung im Sinne von „suum cuique“, dem Juden der Strang und dem Faschisten der Freispruch (vgl. mein obiges Beispiel), eben weil dieses Gleichheitskonzept nicht auf irgendwelchen materiellen Eigenschaften basiert, sondern auf der unveräußerlichen Würde aller Menschen, welche ihnen aufgrund ihrer Personalität zukommt; also aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Spezies, die im Normalfall rational und moralfähig ist.

Was folgt aus einem solchen Gleichheitskonzept? Zunächst ein unveräußerliches Recht auf Leben, da ein beliebiges Wesen nur würdig ist, wenn es ist. Ferner folgt daraus die Rechtfertigung dafür, warum die oben beschriebene minimalistische Form der juristischen Gleichheit trotz der immensen Ungleichheit zwischen den Menschen nicht unfair ist, warum Menschen nicht nach ihrem Nutzen für die Gesellschaft oder anderen Qualitäten unterschiedliche Rechte zugewiesen bekommen, also warum das Genie nicht mehr Rechte hat als der Idiot oder ähnliche Fälle: Denn die vielen Ungleichheiten verblassen angesichts der personalen Würde des Menschen. Jeder Mensch, ob klug oder dumm, ob Mann oder Frau, reich oder arm, schwarz oder weiß, christlich oder jüdisch, hat aufgrund seiner Menschenwürde den Anspruch, nicht an der Ausübung seiner je ihm spezifisch zugehörigen Eigenschaften durch den Staat gehindert zu werden, ohne zureichenden Sachgrund.

Ein solches Gleichheitskonzept stellt also Leben und Freiheit aller Menschen sicher, indem es Gleichheit von der bloß materiellen Güter- und Eigenschaftensphäre abhebt, und eine ideelle Komponente verleiht. Christen mögen hier von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen sprechen, doch handelt es sich um ein auch jenseits der Religion verständliches und rationales Konzept – es ist also allen Menschen zugänglich, sofern sie willens und fähig zum Durchdenken der dahinterstehenden Philosophie sind.

Während die Gleichwertigkeit aller Menschen einige Dinge gewährleistet: Recht auf Leben und Freiheit, sowie das Recht auf Eigentum, da dieses notwendig für die Verfolgung eigener Ziele und Wünsche ist, hat ihre Reichweite auch Grenzen und muß diese haben. Diese Grenzen liegen in genau den Prinzipien, die sie selbst begründet. Niemand hat ein Recht auf etwas, was aktiv Leben, Freiheit und Besitzrecht anderer Menschen einschränkt, es sei denn dieser hat sich einer so verwerflichen Tat schuldig gemacht, daß eine Freiheits- oder Geldstrafe angemessen erscheint. Systematisch wäre hier auch Platz für die Todesstrafe, die ich allerdings ablehne, da das Leben das erste Recht ist, und ein Nehmen des Lebens irreversibel wäre (anders als das Einsperren oder die Geldzahlung, welche zumindest teilweise wieder zurückgenommen werden können).

Die Grenzen der Rechte der Menschen finden sich also im WEsentlichen in den gleichen Rechten anderer Menschen, was in diesem Fall sehr strikt ausgelegt werden muß, da sonst durch die Hintertür wieder die Chancengleichheit ihr häßliches Gesicht zeigte, indem Chancen nach Wünschen der Regierung umverteilt werden könnten unter Hinweis auf das Fehlen direkten Schadens für andere Menschen bei Praktiken wie Quotenregelungen und ähnlichem.
Bei solchen Regelungen tritt zwar Schaden für das Individuum um auch für die Gemeinschaft auf, doch ist dieser weniger direkt als beim Mord. Dennoch muß dem Staat im Namen der Gleichwertigkeit aller Menschen die Selektion nach materiellen Merkmalen und EIgenschaften untersagt sein. Mit anderen Worten ist es nicht die Aufgabe des auf Gleichwertigkeit aller Menschen ausgerichteten Staatssystems, die Chancen der Menschen aktiv zu beeinflussen. Sind sie gut, ist es schön. Sind sie schlecht, rechtfertigt dies allein noch keine Intervention, da diese notwendig die Freiheit oder das Eigentumsrecht anderer Menschen beschränken müßte (denn zumindest müßte ein solcher Eingriff mit dem Geld der Bürger bezahlt werden).

Nicht ausschließen kann und soll das Konzept der Gleichwertigkeit hingegen einen moderaten Sozialstaat, da es die Menschenwürde gebietet, daß kein Staatsbürger des auf diese Art von Gleichheit bedachten Staates verhungert oder sein Leben aufgrund materieller Armut verliert. Ein Minimum sozialer Absicherung wird durch die Gleichwertigkeit sogar gefordert, auch wenn diese im Idealfall so subsidiarisch wie möglich auf kleinster Ebene (Familie, Gemeinde, Nachbarschaftshilfe usw.) und nur im Notfall durch den Staat durchgeführt werden sollte. Wie weit eine solche soziale Absicherung gehen darf, und durch das Konzept der Menschenwürde gedeckt bleibt, kann natürlich nicht eindeutig definiert werden, so daß hier immer Streitpunkte bestehen werden. Offenbar ausgeschlossen ist natürlich die Verstaatlichung ganzer Lebensbereiche, ob im Schulwesen, bei der Kindererziehung, aber auch im Gesundheitsbereich oder anderen Sektoren.

7. Zusammenfassung

Unter der Voraussetzung, daß die Freiheit ein wesentlicher Faktor ist, der durch Gleichheit höchstens in ganz geringem Maße, besser aber gar nicht, eingeschränkt werden darf, also unter der Annahme, daß eine freie Gesellschaft gewünscht wird, ist es unmöglich einen auf der Basis der Ergbnisgerechtigkeit agierenden Staat zu konstituieren. Dieser müßte, um die gewünschte Umverteilungsleistubng zu erreichen, also um für identische Versorgung mit allen Gütern zu sorgen, ein totalitäres Schreckensregime ohne jede Freiheit aufrichten. Solche Regime sind aus der Praxis durchaus bekannt, zum Glück aber alle gescheitert.

Ähnliches gilt für den ebenfalls radikalen Ansatz der Chancengleichheit, da auch für die Proportionalität der Chancen in den Gruppen ein unerträgliches Maß an Überwachung notwendig wäre. Zwar könnte diese Idee sanfter und weniger extrem verkauft werden, müßte sich aber letztlich der freiheitlichen Tarnung entledigen. Dies geschieht derzeit mit den auf Chancengleichheit basierenden kaum mehr verhohlenen Paternalismen und Egalitarismen der skandinavischen Länder, des Gender-Feminismus in der EU und den Vereinten Nationen, sowie zunehmend auch in Deutschland. Diese Form der Gleichheit befindet sich zwar derzeit auf dem Siegeszug, da zunehmend Statistische Verschiedenheit als Indikator für Ungerechtigkeit gesehen wird, welche Staatsinterventionen erfordert; dies ändert aber nichts an ihrem notwendig totalitären – und für die Freiheit tödlichen – Verlauf.

Juristische Gleichheit kann zwecks Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums eingesetzt werden, was abermals die Gefahr einer erzwungenen Nivellierung ungeachtet natürlicher Unterschiede herbeiführt, und auch das Risiko eines Staates, welcher totalitäre Entwicklungen zeigt, indem er alle Lebensbereiche erfassen muß, um juristisch relevante Unterschiede aufzudecken, läßt sich nicht ganz ausschalten. Daher muß dieses Mittel sparsam eingesetzt werden. Eine rein prozessuale Gleichheit, in dem Sinne, daß alle Bürger gleichermaßen frei von staatlichem Zwang sind, ist hingegen unbedenklich, wenn auch unzureichend.

Alle Gleichheiten kranken an der natürlichen Ungleichheit des Menschen, weshalb substanziellen Nutzen auch nur die Gleichwertigkeit bietet, für welche die Unterschiede in allen geistigen, körperlichen und finanziellen Fähigkeiten der Menschen keine Rolle spielen, da nur der Mensch als Person, als Würdesubjekt zählt, welches niemals allein als Mittel zu einem Zweck gebraucht werden darf. Solche Gleichwertigkeit sichert das Leben, die FReiheit, und, um es in den Worten der Unabhängigkeitserklärung zu sagen, das Streben nach Glück ab, muß jedoch notwendig und zurecht von größeren Egalisierungsanstrengungen aufgrund eben dieser Rechte aller Menschen absehen, wenn sie sich nicht selbst verleugnen will. Gepaart mit einer rein juristischen Prozessgleichheit kann sie elementare Freiheitsrechte sicher stellen, und, solange sich die Staaten an ihr orientieren, wird es zwar zu Konflikten zwischen Freiheit, Gleichheit und vielen anderen Werten und Überzeugungen kommen, und mit Sicherheit zu Konflikten zwischen Menschen über diese und andere Themen, aber die Greuel einer totalitären Diktatur lassen sich durch sie verhindern.

Ob sich die Menschen und vor allem die Regierenden an die Gleichwertigkeitsgrundsätze halten werden, erscheint allerdings aktuell sehr zweifelhaft. Werden sie zugunsten anderer, scheinbar ehrgeizigerer Gleichheitsziele abgelegt, was derzeit sehr verbreitet ist, sind die Folgen im Einzelfall unabsehbar, immer aber unerträglich.